In diesem Urteil schränken die höchsten deutschen Finanzrichter die in den letzten Jahren zuweilen ausgeuferte Praxis der Finanzämter deutlich ein, bei auch nur fragmentarischen Hinweisen auf Auslandsvermögen (etwa einem einzigen Kontostand auf einer Steuer-CD) angeblich über viele Jahre erzielte Kapitalerträge einfach anzusetzen, diese voll zu besteuern und zuzüglich 6 % Zinsen einzufordern.

Sachverhalt: Im entschiedenen Fall ging es um nicht weniger als 13 Jahre Einkommensteuer von 1995 bis 2007. Bekannt war, dass der Betroffene ein Auslandsdepot mit einem Wert von 2 Millionen DM bis Februar 1997 unterhalten und dann aufgelöst hatte. Erträge aus diesem Vermögen versteuert hatte er nie unter Hinweis auf einen (auch von den Finanzrichtern nicht anerkannten) Auslandswohnsitz und der Angabe, dass er das Kapital nicht für sich, sondern als Treuhänder für andere verwaltet habe. Genaue Angaben und Nachweise für diese Treuhänderschaft blieb er schuldig. Über den Verbleib der 2 Millionen Depotvermögen nach der Depotauflösung im Februar 1997 schwieg der Betroffene sich im wesentlichen aus.

Die Steuerfahndung hatte sich im Jahr 2008 der Sache angenommen. Ein Steuerstrafverfahren wurde gegen Zahlung von 20.000 € eingestellt. Gleichwohl berechnete die Steuerfahndung für das ab Februar 1997 praktisch verschwundene Bankvermögen jährlich Zinsen von etwa 8 bis 9 %  bis zum Ende des Prüfungszeitraums 2007 und wurden in dieser Höhe Einkommensteuerbescheide erlassen.

Entscheidung des BFH: Diese Einkommensteuerbescheide hat der Bundesfinanzhof jetzt aufgehoben und (hier nur übersichtartig dargelegt) festgestellt:

– Auch wenn ein Steuerbürger keine lückenlose Nachweise über den Verbrauch von Auslandsgeldern oder die Nichterzielung von Anlagezinsen im Ausland liefern kann oder liefern will, ist es unzulässig, ihm einfach aus einem einmal zu einem bestimmten Zeitpunkt festgestellten Kapitalstand ins Blaue hinein zukünftige Erträge zuzuschreiben und diese zu besteuern. Das gilt selbst dann, wenn die von ihm behauptete Treuhandschaft nicht angenommen werden kann.

– Auch wenn ein Steuerbürger an der Sachverhaltsaufklärung nicht mithilft, können Steuerbescheide nur dann für 10 Jahre rückwärts (die in der Praxis regelmäßig zu 12 oder 13 Jahren werden) zu seinen Lasten geändert werden, wenn die Finanzverwaltung das Finanzgericht in vollem Umfang vom Vorliegen der objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer begangenen Steuerhinterziehung überzeugen kann. Das darf keinesfalls nur aufgrund der fehlenden Mitwirkung unterstellt werden. Bleiben die Umstände dazu unaufgeklärt, verbleibt es bei einer Änderungsmöglichkeit ohnehin nur für rückwärts 4 Jahre.

Praxishinweis: Das Steuerstrafverfahren besteht aus dem Besteuerungsverfahren und dem Strafverfahren, beide laufen gleichzeitig ab. Für das Strafverfahren galt auch bislang schon: Jede Stellungnahme zur Sache will wohl überlegt sein, sie kann sehr leicht schaden. Schweigen ist oftmals Gold und stellt ein rechtsstaatlich völlig anerkanntes Verhalten dar. Die vorliegende Entscheidung aber zeigt darüber hinaus, dass es auch im Besteuerungsverfahren – gerade bei gleichzeitig anhängigem Steuerstrafverfahren – sehr leicht zu Konstellationen kommen kann, in denen eine fehlende Mitwirkung des Steuerpflichtigen und auch sein Schweigen nicht zu wirtschaftlich äußerst belastenden Schätzungen der Finanzverwaltung ins Blaue hinein beziehungsweise Strafschätzungen angeblich erzielter Auslandserträge führen muss.

Wichtig ist, dass der Betroffene sein Verhalten immer gleichzeitig auf seine Verteidigung im Strafverfahren und die Vertretung seiner Interessen im Besteuerungsverfahren ausrichtet und dabei nie eines der beiden Ziele aus den Augen verliert. Deshalb ist für ihn auch eine durchgehend nahtlose Zusammenarbeit zwischen steuerlicher Beratung und Strafverteidigung elementar wichtig.

Ingo Minoggio, Peter Wehn

Samstag, 18.11.2017