Aus Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.09.2019 – 1 StR 346/18: Ein Arbeitgeber kann sich wegen des unterlassenen Abführens von Sozialversicherungsbeiträgen nur strafbar machen, wenn er seine Stellung als Arbeitgeber und die daraus resultierende Beitragspflicht zumindest für möglich gehalten und deren Verletzung billigend in Kauf genommen hat. Irrt er hingegen über seine Stellung oder die Pflicht zur Abführung, scheidet eine Strafbarkeit aus. Auf eine Unvermeidbarkeit des Irrtums kommt es nicht an.

Änderung der Rechtsprechung

Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hatte hinsichtlich der Arbeitgebereigenschaft sowie der daraus resultierenden Pflicht und damit für Strafbarkeit eine Kenntnis der tatsächlichen Umstände ausgereicht. Es bedurfte keiner zutreffenden rechtlichen Einordnung dieser Tatsachen und eines Fürmöglichhaltens der Verletzung der Beitragspflicht. Der entsprechende Irrtum über die Arbeitgebereigenschaft und die daraus resultierende Beitragspflicht wurden bislang nicht als vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB) eingeordnet, sondern als regelmäßig vermeidbarer Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB.

An dieser Ansicht hält der Senat jetzt ausdrücklich nicht mehr fest. Eine Fehlvorstellung über die Arbeitgebereigenschaft und die daraus resultierende Abführungspflicht sei als vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum einzuordnen und führe deshalb zur Straffreiheit.

Diese Entscheidung des Bundesgerichtshofes hatte sich bereits deutlich durch die ausdrücklichen Hinweise in der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 24.01.2018, Aktenzeichen 1 StR 331/17 angekündigt.

Praktische Bedeutung

Die vorliegend endgültig manifestierte Rechtsprechungsänderung erlangt aktuell besondere Bedeutung, da die Sozialgerichte tendenziell vermehrt in bislang offen einzuschätzenden Konstellationen der Selbstständigkeit zur Annahme von abhängigen Beschäftigungsverhältnissen neigen. Zuletzt hat sich diese Tendenz für die früher in fast allen Krankenhäusern beschäftigten Honorarärzte gezeigt (Bundessozialgericht, 4.6.2019, B 12 R 11/18). Eine selbstständige Tätigkeit als Honorararzt ist aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht kaum noch darstellbar und ist deshalb für keinen Beteiligten mehr ratsam. Da aber vor der Entscheidung des Bundessozialgerichtes die Landessozialgerichte durchaus unterschiedlich entschieden haben und die Gewichtung der Kriterien und damit eine abschließende Beurteilung der Einzelfälle relativ komplex waren, spricht in diesen Fällen mindestens für die Zeit vor der Entscheidung des höchsten Sozialgerichtes alles gegen ein vorsätzliches Handeln der Verantwortlichen im Sinne des § 266a StGB.

Dem Beschluss wird in Sozialversicherungsfällen eine große wirtschaftliche Bedeutung zukommen. Die im Gesetz in § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV fingierte Nettolohnvereinbarung mit der wirtschaftlich fatalen Folge der Hochschleusung auf ein Bruttogehalt setzt ein illegales Beschäftigungsverhältnis voraus und damit in jedem Fall ein vorsätzliches Handeln. Säumniszuschläge (12% pro Jahr!) erfordern ebenfalls Vorsatz. Bei einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum auf Grundlage der vorliegenden Entscheidung fallen beide Folgen weg.

Peter Wehn, Barbara Bischoff