In dem soeben veröffentlichten Beschluss BVerfG 2 BvR 382/19 (1. Kammer des Zweiten Senats) hatte das Bundesverfassungsgericht die Anordnung von viereinhalb Monaten Untersuchungshaft für einen bayrischen Automanager in 2018 verfassungsrechtlich zu beurteilen. Dabei hat es im Ergebnis die von LG und OLG München im Haftverfahren angeordneten Maßnahmen vollinhaltlich bestätigt.

Hintergrund der Haft war, dass der Beschuldigte in einem abgehörten Telefonat erwogen hatte, einen Mitarbeiter zu beurlauben, der gegenüber den Strafverfolgungsbehörden über andere Konzernangehörige belastend ausgesagt hatte. Umgesetzt wurde das nicht. Schon allein diese Gesprächsäußerung sahen die Strafgerichte jedoch als Verdunkelungshandlung an, die zu mehrmonatiger Untersuchungshaft führte.

Der ungewöhnlich ausführlich begründete Beschluss wird sicherlich in der Literatur alsbald vielfältig kommentiert werden. Das soll hier nicht geschehen.

Für die Tagespraxis lassen sich aus dem Beschluss jedoch zweifellos zwei wichtige Aussagen sofort festhalten.

Erste Erkenntnis aus dem Beschluss:

– Ist ein straf- und/oder ordnungsrechtliches Ermittlungsverfahren gegen Unternehmensverantwortliche anhängig oder auch nur konkret zu erwarten, muss jede kaufmännische, gesellschaftsrechtliche oder arbeitsrechtliche Entscheidung zwingend durch einen Filter laufen, welche strafrechtlichen und strafprozessualen Folgen aus ihr folgen kann. Von Anfang an ist absolute Vorsicht bei allen Erörterungen hierzu geboten.

Das fällt Unternehmensangehörigen  – gleich welcher Ausbildung und Erfahrung – zuweilen nicht leicht und kann verheerend negative Folgen haben. Auch hochqualifizierte Kaufleute unterschätzen regelmäßig, wie sehr sich der Blickwinkel der Strafjustiz von ihrer Sichtweise und ihren bisherigen Erfahrungen mit dem Rechtssystem unterscheidet. Es muss schwerfallen, bislang mit Macht jahrelang über die Belange großer Unternehmen oder erheblicher Teilbereiche  entschieden zu haben, plötzlich aber auf den Rat des allein strafrechtlich ausgerichteten Beraters hören und gebotene kaufmännische Maßnahmen nur mit Blick auf das  Ermittlungsverfahren unterlassen zu müssen.

Aber nur das ist richtig. Niemand ist im unternehmensbezogenen Strafverfahren sakrosankt. Alle strafprozessualen Eingriffe bis hin zur Untersuchungshaft sind auf Verdachtsgrundlage zulässig und haben regelmäßig massive Auswirkungen. Leben von Betroffenen und Familien nehmen durch U-Haft sofort schweren Schaden, niemals vollständig reparierbar.

Gefragt ist natürlich Teamarbeit bei der Beratung, aber in einem als nicht unwichtig erscheinenden, unternehmensbezogenen Ermittlungsverfahren muss der strafrechtliche Blickwinkel für den einzelnen Betroffenen und das Unternehmen den Ausschlag geben. Strikt zu trennen sind das Interesse und die Beratung des Unternehmens und der Verantwortlichen. Das erlaubt zulässige Abstimmungen auf Verteidigungsebene- jede Hemdsärmeligkeit, jede unbedachte Besprechung oder Abstimmung auf der nur angeblich „rein kaufmännischen bzw. arbeitsrechtlichen Ebene“ aber kann unabsehbare Folgen im Strafverfahren auslösen.

Zweite Erkenntnis aus dem Beschluss:

– Den Verfassungsrichtern war ein Anliegen, den auch vom Gesetzgeber jetzt geförderten Schutz eines Hinweisgebers (Whistleblower) aus den eigenen Unternehmensreihen ausdrücklich als notwendig herauszustellen.

Auch das wird man ernst nehmen müssen. Wer Hinweise auf vermutete  Missstände in einem Unternehmen gibt, muss vor dem Versuch jeglicher, negativer Konsequenz geschützt werden. Solidarität in Form von ungesundem Korpsgeist oder eine mittelbare Schweigekulturförderung der Unternehmensleitung wollen die den Beschluss verantwortenden Verfassungsrichter wirksam unterbunden sehen.

Ingo Minoggio, Peter Wehn, Barbara Bischoff