Jetzt ist er veröffentlicht, der Referentenentwurf zum Verbandssanktionengesetz https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Staerkung_Integritaet_Wirtschaft.html?nn=6712350.

Die große Koalition hatte ihn auf die Tagesordnung gesetzt. Ein erster, verschlossen gehaltener Entwurf war auf vielfältige Kritik gestoßen. Ungeachtet dessen liegt jetzt der Entwurf Stand 22. April 2020 mit nur geringen Änderungen vor. Die Veröffentlichung ungeachtet Corona deutet sehr darauf hin, dass das Gesetz in Kraft treten wird, mutmaßlich bereits Ende diesen oder Anfang nächsten Jahres.

Was sind die Eckpunkte? Gegen ein auf Gewinnerzielung ausgerichtetes Unternehmen kann eine Verbandsgeldsanktion bis zu 10 Millionen € festgesetzt werden. Das ist nichts Neues, das Ordnungswidrigkeitenrecht sah diese Obergrenze seit 2013 bereits vor. Neu ist, dass bei Unternehmen mit mehr als 100 Millionen Euro die Obergrenze auf 10 % des Jahresumsatzes angehoben wurde (alles zu verstehen zuzüglich einer Abschöpfung von durch die Verfehlung unredlich erlangtem Vermögen). Neu ist, dass eine solche Sanktion auf Bewährung verhängt werden kann und dem Unternehmen Weisungen (etwa zu Compliancemaßnahmen, Umstrukturierungen, Schadenswiedergutmachung oder verändertem kaufmännischen Verhalten) erteilt werden können, um der tatsächlichen Strafe zu entgehen.

Es wird ein weiteres Register zu diesem Gesetz geben, in das Verurteilungen einzutragen sind ab einer unternehmensbezogenen Ordnungswidrigkeit von 300 €, also praktisch jede größer als das Überfahren einer roten Ampel mit einem Betriebsfahrzeug. Öffentliche Stellen können abfragen, und werden das bei Vergabeentscheidungen auch müssen. Der im ersten Entwurf vorgesehene, öffentliche Pranger für verurteilte Unternehmen (automatische Veröffentlichung der Verurteilung im Internet) ist glücklicherweise weggefallen. Bekannt gemacht werden darf eine Verurteilung nur, um bei einer größeren Anzahl von Geschädigten diese zu informieren, befristet auf ein Jahr.

Soweit, so gut und  jedenfalls verstehbar und aus unserer Sicht akzeptabel. Massiven Zündstoff bieten allerdings die §§ 16-18 des Entwurfs, nämlich die Regelungen über die verbandsinterne Untersuchung.

Die legitime Verteidigung von Unternehmensinteressen  im Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren wird erschwert, stattdessen sollen Unternehmen faktisch dazu gebracht werden, auf rechtstaatlich bislang anerkannte Verteidigungspositionen sofort zu verzichten. Sie sollen vielmehr massive Hilfsdienste in Form einer staatlich kontrollierten Untersuchung für Strafverfolgungsbehörden zu eigenen Lasten und zulasten betroffener Mitarbeiter leisten gegen 50 % Ablass von einer Verbandssanktion.

Das wird sich rächen. Selbst auf Gewinnerzielung ausgerichtete, privatwirtschaftliche „Untersuchungsunternehmen“ werden an die Stelle von nach Amtsermittlungsgrundsätzen und zur Neutralität verpflichteten Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften treten. Dort wird man nach einem derartigen Outsourcing der Strafverfolgung als ureigener Staatsaufgabe lediglich noch grobe Ergebniskontrollen durchführen. Wer sich dem verweigert, wird bestraft werden.

Ganz nebenbei und wahrscheinlich unbedacht räumt der Gesetzesentwurf einem zulasten seines Arbeitgebers kriminell gewordenen Arbeitnehmer in dieser Untersuchung entgegen der weit überwiegenden Rechtsprechung und Literaturstimmen hierzu auch noch ein vollständiges Schweigerecht ein und erschwert so die Sachaufklärung im legitimen Interesse des Arbeitgebers ganz massiv.

Man kann nur hoffen, dass das Gesetz mindestens in diesem Bereich der verbandseigenen Untersuchung noch deutlich nachgebessert wird.

Ingo Minoggio, Peter Wehn, Barbara Bischoff