Im genannten Urteil hatte das Finanzamt bei einem Erotikbetrieb mit Verkaufsshop und Erotikkino eine Betriebsprüfung durchgeführt. Im Teilbereich des Kinos hatte der Steuerpflichtige vergessen, die dort aufgestellten Zahlungsautomaten getrennt auszuzählen, sondern lies alles auf Bankkonto einzahlen. Hierdurch entstand auch nach Auffassung der Finanzrichter ein nicht unerheblicher Buchführungsmängel, der das Ergebnis der betrieblichen Buchführung in Zweifel zog und die Finanzverwaltung grundsätzlich zu einer Schätzung gemäß § 162 AO berechtigte.

Gleichwohl beanstandete der Bundesfinanzhof diese Schätzung und gleichzeitig das bestätigende Urteil der ersten Instanz: Das Finanzamt hatte nämlich ohne großes Federlesen die erklärten Umsätze für das Kino einfach um 10 % erhöht und kam hierdurch naturgemäß zu einer massiven Nachzahlung von Umsatz-, Gewerbe- und Körperschaftsteuer.

Dem hat der Bundesfinanzhof eine klare Absage erteilt allein aus dem Argument heraus, dass die Zuschätzung von 10 % in keiner Weise näher begründet worden war. Deshalb sei die Prozentzahl nicht überprüfbar und könne nicht bestehen bleiben. Bevor man zu einer derartigen, in der Praxis als „griffweise“ bezeichneten Zuschätzung komme, müssten andere Schätzungsmethoden versagt haben. Darüber hinaus müsste begründet werden, warum die gewählte Höhe des Zuschlages schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig gewesen sei.

Konsequenzen daraus: Diese Entscheidung kann in der Tagespraxis von streitig verlaufenden Betriebsprüfungen von großer Bedeutung werden, wenn man sich auf die dort festgelegten Grundsätze beruft. Die „griffweise Zuschätzung“ wird im Besteuerungsverfahren nicht selten vorgenommen, sie ist von der Betriebsprüfung eben äußerst einfach zu handhaben und wie ein Hebel zur Begründung praktisch jeden gewünschten Ergebnisses einzusetzen. Dagegen kann man sich oftmals erfolgreich wehren, mit diesem Urteil des Bundesfinanzhofs im Rücken noch effektiver.

Es zeigt sich immer wieder, dass in vielen Fällen einer Betriebsprüfung die grundsätzliche Schätzungsbefugnis des Finanzamts nicht erfolgreich angegriffen werden kann (manche sagen, dass eine formell und materiell richtige Buchführung überspitzt formuliert als Einhorn bezeichnet werden muss: Gibt es, hat aber noch nie jemand gesehen) –  bei der Ausführung der Zuschätzung aber eine effektive Verteidigung der Rechtsposition des Steuerpflichtigen durchaus möglich ist und eine Zuschätzung keineswegs willkürlich ausfallen darf. Hier ist Detailarbeit in der Argumentation unter Berücksichtigung der betrieblichen Besonderheiten gefragt.

Wichtig abschließend: Eine derartige Zuschätzung darf erst recht nicht als Basis eines Steuerstrafverfahrens dienen. Auch das wird zuweilen versucht, manchmal in der Version, dass das Ergebnis einer Zuschätzung im Grundsatz auch als Basis der strafrechtlichen Schuld und damit der Sanktion dienen soll, aber ein großzügiger „Abschlag von 50 %“ vorgenommen wird. Auch das geht nicht und macht einen grundsätzlichen Fehler im Strafverfahren (Verstoß gegen den Zweifelssatz) nur etwas weniger bedeutungsvoll.

Dr. Barbara Bischoff

Montag, 15.01.2018