in: Versicherungswirtschaft, vom 15.01.2002 (Heft 2), Seite 96
Sicherheit nicht den Kosten opfern, Sicherheitskoordinator am Bau ein problematischer Einsparungsversuch.
Sicherheit nicht den Kosten opfern
Sicherheitskoordinator am Bau ein problematischer Einsparungsversuch
von Rechtsanwalt Ingo Minoggio
Aufsatz, abgedruckt in der Zeitschrift “ Versicherungswirtschaft “ vom 15.01.2002 (Heft 2) Seite 96
Seit Erlass der Baustellenverordnung (BaustellV) im Jahr 1998 ist ein sogenannter Sicherheitskoordinator auf Baustellen im Regelfall zwingend vorgeschrieben. Mittlerweile hat sich bei Versicherungsschäden ein umfassend tätiger „Schadensmanager“ oder „Schadenskoordinator“ als besonderer Typus dieses Sicherheitskoordinators ausgebildet. Dessen Tätigkeit aber ist rechtlich bedenklich und für Bauherrn und Versicherer riskant.
Gesetzliche Aufgabe des Sicherheitskoordinators
Die BaustellV sieht in § 3 I im Regelfall eine Pflicht zur Bestellung eines Sicherheitskoordinators vor. In der Planungsphase soll er die einzelnen Maßnahmen unter Arbeitsschutzgesichtspunkten koordinieren, einen Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan (so genannte SiGe-Plan) ausarbeiten, sofern § 2 III dies erfordert. In der Ausführungsphase soll er kontrollieren, ob alle Beteiligten ihre Pflichten in Bezug auf die Arbeitssicherheit erfüllen. Verstöße soll er dem Bauherrn melden und notfalls die zuständigen Bauordnungs- und Arbeitsschutzbehörden einschalten.
Gemäß der berufsgenossenschaftlichen Vorschrift BGR 128 soll ihm der Bauherr allerdings Weisungsbefugnis in Bezug auf Sicherheit und Gesundheitsschutz gegenüber allen Auftragnehmern und deren Beschäftigten einräumen. Dem Sicherheitskoordinator kommt damit nach dem klaren Willen des Gesetzgebers ausschließlich die Aufgabe der Gewährleistung von Arbeitssicherheit und der Schutz der am Bau Beteiligten zu.
Der Schadensmanager in der Praxis
Mehr und mehr bieten derzeit Personen und Firmen den beteiligten Eigentümern oder Versicherern an, als so genannte Schadenskoordinatoren oder Schadensmanager sowohl für die Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen als Sicherheitskoordinatoren als auch für allgemeine Kostenminimierung zu sorgen. Ihr Komplettangebot besteht aus
- Ermittlung des Sanierungsumfanges, Erstellung des SiGe-Planes;
- Angebotseinholung und Prüfung, Vergabeverhandlungen – nicht nur unter Sicherheits- sondern vor allem unter Kostengesichtspunkten;
- Kontrollen zur Einhaltung von Sicherheitsvorschriften, der Arbeitsgeschwindigkeit und der Qualität (Projektleitung);
- Leistungsabnahmen, Prüfung sämtlicher Abschlags- und Schlussrechnungen, Verhandeln von Schlussnachlässen, Pönalen und Rückvergütungen;
- Einsparung nicht nur der eigenen, sondern darüber hinaus erheblicher weiterer Kosten.
Schadenskoordinator muss geeignet sein
Als Sicherheitskoordinatoren dürfen nur geeignete Personen beauftragt werden, etwa Sicherheitsingenieure, Architekten oder Meister mit Erfahrung in der Bauüberwachung. Die Person muss Gewähr leisten, dass sie sich dieser Aufgabe ausreichend und mit dem gebotenen Nachdruck widmet.
Geeignetheit bedeutet auch Eignung in persönlicher Hinsicht. Der gesetzlichen Funktion kann aber nur ein Koordinator gerecht werden, der nicht gleichzeitig und vornehmlich wirtschaftliche Belange wahrzunehmen hat. Kosteneinsparung auf Kosten der Sicherheit soll der Sicherheitskoordinator gerade verhindern, indem er als neutraler Schiedsrichter (ohne gesetzlich vorgegebene Befugnisse) allein Sicherheitsinteressen vertritt.
Wer aber in der Angebotsphase die Preise auskocht, bei selten vermeidbaren Nachträgen die Pauschalangebote oder Stundenlöhne drückt, dessen Aufgaben die Erzielung möglichst kurzer Wiederaufbauzeiten umfasst – der kann nicht gleichzeitig als Garant für Arbeitssicherheit fungieren. Dem Schadenskoordinator fehlt daher regelmäßig die persönliche Eignung als Sicherheitskoordinator.
Kommt es zu Unfällen auf der Baustelle, die von einem reinrassigen Sicherheitskoordinator hätten vermieden werden können, so haftet der Bauherr für seine fehlerhafte Auswahl einer ungeeigneten Person, und zwar sowohl zivil- als auch strafrechtlich in Form des so genannten Organisationsverschuldens.
Problem: Unzulässige Rechtsberatung
Der Schadenskoordinator steht wegen seiner umfassenden Tätigkeit ferner in der Gefahr, verbotene Rechtsberatung zu betreiben. Auch eine schwerpunktmäßig wirtschaftliche Tätigkeit kann nämlich dann unzulässig sein, wenn nebenher rechtliche Belange von nicht ganz unerheblichem Gewicht besorgt werden sollen. Beispielsweise stellen bereits das Verhandeln im Rahmen von Verträgen oder über Schuldennachlass, ferner die Geltendmachung von Vertragsverstößen erlaubnispflichtige Rechtsberatungsleistungen dar. Deshalb kann die umfassende Betreuung eines Sanierungsprojektes durch den Schadensmanager leicht als unzulässige Rechtsberatung einzustufen sein. Er besorgt damit zugleich geschäftsmäßig fremde Rechtsangelegenheiten, wenn er weitergehend die Rechte des Bauherrn gegenüber dem Sanierungsunternehmen – und sei es auch nur im Verhandlungsweg und außergerichtlich – wahrnimmt und durchsetzt. Gerade das als so vorteilhaft herausgestellte Komplettmanagement, das „Alles-aus-einer-Hand“ (damit eben auch die rechtliche Beratung und Vertretung des Bauherrn gegenüber den Baufirmen durch den Schadenskoordinator!) dürfte ohne weiteres gegen das Rechtsberatungsgesetz verstoßen – und kann mit einer Geldbuße bis zu l0.000 DM belegt werden, zuzüglich des aus dem Vertrag mit dem Bauherren erzielten Umsatzes. Der gegen das RberG verstoßende Vertrag ist ohnehin nichtig.
Illegale Arbeitnehmerüberlassung
Nach den strengen Regeln des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) dürfen Arbeitnehmer nur von einem Verleiher entliehen werden, der die dafür erforderliche Verleihererlaubnis besitzt. Für das Baugewerbe gilt darüber hinaus das Arbeitnehmerüberlassungsverbot des § 1 b AÜG bei unterschiedlichen Rahmen- und Sozialkassentarifverträgen. Auf die konkrete Situation auf der Baustelle kommt es dabei an, nicht auf den Wortlaut der abgeschlossenen Verträge. Wesentliche Kriterien sind u.a. das Ausmaß der arbeitsbezogenen Weisungsbefugnis, die tatsächliche Eingliederung des Arbeitnehmers, die Organisationsgewalt. Sind dem Schadenskoordinator alle Arbeitnehmer praktisch untergliedert, so kann hierin ein starkes Indiz für eine unzulässige Arbeitnehmerüberlassung liegen.
Darunter fallen beispielsweise die Zuweisung einzelner Aufgaben an einem bestimmten Arbeitsplatz, die Überwachung der Qualität einzelner Arbeitsschritte, Bestimmung täglicher Arbeitszeiten und Pausen, Festlegung des Arbeitstempos, die Anordnung von Überstunden oder die Durchführung von Arbeitszeitkontrollen. Als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung können die Werkverträge mit den Sanierungsunternehmen als unzulässige Arbeitnehmerüberlassung eingestuft werden. Ein Verstoß gegen das AÜG wird mit einer empfindlichen Geldbuße gegen Verleiher und Entleiher geahndet. Außerdem gelten die entliehenen Arbeitskräfte als Arbeitnehmer des entleihenden Betriebes, mit der Folge der Haftung etwa für Lohn, Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer. Dem Bauherrn dürfte das Handeln des Schadenskoordinators ohne weiteres zuzurechnen sein. Auch ihn treffen deshalb diese unangenehmen Folgen.
Vertragsschluss mit dem Schadenskoordinator
Würde der Versicherungsnehmer (VN) durch die Beauftragung des Schadenskoordinators gegen seine arbeitsschutzrechtlichen Pflichten und evtl. sogar gegen RberG und AÜG verstoßen, so binden ihn etwaige, hierauf gerichtete Weisungen des Versicherers nicht. Das Weisungsrecht in § 62 Abs. 1 VVG findet bekanntlich dort seine Grenze, wo die entgegenstehenden Interessen des VN schutzwürdiger sind, oder die Anordnungen sich auf einen verbotenen Erfolg richten bzw. offensichtlich unzweckmäßig sind.
Folgt der VN der Direktive in Unkenntnis ihrer Unverbindlichkeit, kann der Versicherer ihm gegenüber schadensersatzpflichtig sein. Dies gilt auch dann, wenn nur ein Ratschlag oder eine Empfehlung abgegeben wurde, die der VN aber als bindende Weisung auffassen konnte.
Fazit: Schadensmanager unzulässig
Der Schadensmanager ist aufgrund des implizierten Interessenkonflikts zwischen Kostenminimierung und Sicherheitswahrung ungeeignet, die Aufgaben eines Sicherheitskoordinators gemäß den §§ 18 und 19 ArbSchG i. V. m § 3 I der BaustellV wahrzunehmen. Zudem verstößt der Komplettschadensmanager sehr schnell gegen das Rechtsberatungsgesetz oder im Einzelfall auch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Sowohl dem Schadensmanager als auch dem Bauherrn drohen in diesem Fall Geldbußen und zivil- und strafrechtliche Haftung. Eine Weisung des Versicherers zur Beauftragung eines Schadensmanagers wäre für den VN unverbindlich. Befolgt er diese gleichwohl, kann der Versicherer ihm gegenüber schadensersatzpflichtig werden. Zur Vermeidung dieser Risiken sollte der Sicherheitskoordinator nach Arbeitsschutzgesetz und Baustellenverordnung deshalb ausschließlich sicherheitstechnische Aufgaben wahrnehmen.