in: Anwaltsblatt 2001, Seite 584 (Heft 11).

Übersicht

Einleitung

Straf- und ordnungswidrigkeitsrechtliche Ermittlungen richten sich tagtäglich auch gegen Verantwortliche in Wirtschaftsunternehmen oder sonstigen Institutionen. Zeugenladungen an Firmenmitarbeiter sind ebenso alltäglich. Der Beschuldigte selbst hat bekanntlich ein umfassendes Aussageverweigerungsrecht (nemo tenetur Prinzip).1 Der Zeuge hat das nicht. Er muss bis an die Grenze der eigenen Strafverfolgungsgefährdung aussagen. Mehr noch: Der Zeuge als Mitarbeiter im Wirtschaftsunternehmen oder in anderen Organisationen sieht sich regelmäßig Solidaritätskonflikten ausgesetzt, wenn er sich negativ zu Kollegen oder Firmenleitung beziehungsweise Geschäftspartnern äußern soll. Die Strafprozessordnung nimmt hierauf keine Rücksicht, sondern bedroht den Zeugen mit Zwangsmitteln und Straftatbeständen. Auf der anderen Seite kann eine wahrheitsgemäße Zeugenaussage das Ende der Firmen- und manchmal der Branchenkarriere des betreffenden Mitarbeiters bedeuten.

Der nachstehende Beitrag soll diese Problematik und mögliche Hilfestellungen durch einen Rechtsanwalt (oder natürlich eine Rechtsanwältin) als Zeugenbeistand näher ausleuchten. Es geht dabei gerade nicht nur um den sogenannten „gefährdeten“ Zeugen2, der in der Gefahr der Selbstbelastung steht. Geholfen werden muss vielmehr auch dem aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden vollkommen ungefährdeten Zeugen, der seine eigene Position im Unternehmen aber sehr wohl durch die Aussage erheblich verschlechtern kann. Selbstverständlich geht es in diesem Beitrag in oder zwischen den Zeilen in keiner Weise darum, einen Zeugen unter Verstoß gegen seine Wahrheitspflicht „auf Firmenlinie einzuschwören“. Die Folgen wären fatal (Strafbarkeit gemäß §§145 d, 164, 257, 258 StGB; bei richterlicher Vernehmung zuzüglich möglicher Aussagedelikte, §§ 153 ff. StGB; Provozieren möglicher Maßnahmen zur Verhinderung von Verdunkelungshandlungen, etwa durch Haftbefehl gegen die Firmenverantwortlichen gemäß § 112 Abs. 2 Zif. 3 b) + c) StPO).

Rechtstellung des Zeugenbeistandes

Ein umfassendes gesetzliches Leitbild des Zeugenbeistandes gibt es nicht. Seit der hierzu grundlegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes aus 19753 ist das Recht eines Zeugen anerkannt, sich vor und während seiner Vernehmung über Tragweite und Ausformung der ihm zustehenden Aussage- und Auskunftsverweigerungsrechte – insbesondere bei Selbstgefährdung, § 55 StPO – anwaltlich beraten zu lassen. Im Jahr 1998 hat der Gesetzgeber den Zeugenbeistand jedenfalls dadurch anerkannt, dass er in § 68 b StPO die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwaltes eingeführt hat, wenn der Zeuge für die Dauer der Vernehmung seine (so wörtlich) „Befugnisse bei der Vernehmung nicht selbst wahrnehmen“ kann. Nach Satz 2 der genannten Vorschrift soll bei bestimmten, schwereren Straftatbeständen eine anwaltliche Beiordnung auf Antrag sogar im Regelfall erfolgen.

Der Gesetzgeber anerkennt damit ein Bedürfnis des Zeugen auf anwaltlichen Beistand, das auch außerhalb einer Selbst- oder Angehörigenbelastungsgefahr liegen kann und dem durch Wahrung der ohnehin einem Gericht zukommenden, allgemeinen Fürsorgepflicht auch gegenüber dem Zeugen4 nicht ausreichend Rechnung getragen werden kann. Auch der 62. Deutsche Juristentag 1998 hat eine ausdrückliche gesetzliche Verankerung des Zeugenbeistandes gefordert5.
Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht unlängst noch die Zurückweisung eines anwaltlichen Zeugenbeistandes durch die Staatsanwaltschaft als verfassungswidrig aufgehoben6. Auch diese Entscheidung stärkt diese Institution, hatte doch im zugrundeliegenden Sachverhalt der Staatsanwalt den anwaltlichen Zeugenbeistand eines Bankrevisors in einer Vernehmung vor der Behörde noch zurückgewiesen7. Hierin sah das Bundesverfassungsgericht zu Recht eine Verletzung der Berufsfreiheit gemäß Artikel 12 Abs. 1 GG und führte aus, dass die Zeugenbeistandsleistung zu den wesentlichen Berufsaufgaben des Rechtsanwaltes gehört8, in die ohne gesetzliche Grundlage nicht eingegriffen werden darf.

Aussagepflicht des Zeugen vor Polizei, Staatsanwaltschaft und Ermittlungsrichter

Vor dem Ermittlungsrichter muss der Zeuge erscheinen und – in den Grenzen der §§ 52, 53, 55 StPO9 – seiner Zeugenpflicht nachkommen. Sein Erscheinen kann mit den Zwangsmitteln der StPO (vgl. § 161 a StPO) erzwungen werden. Darüber hinaus kann er bereits auf seine Aussage vereidigt werden, § 65 StPO. Auch bei Ladungen zur Vernehmung bei der Staatsanwaltschaft besteht grundsätzlich Erscheinungspflicht, auch hier können die oben genannten Zwangsmittel zur Durchsetzung eingesetzt werden.10

Bei manchen Staatsanwaltschaften hat es sich eingebürgert, im Ermittlungsverfahren anlässlich einer Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktion Ladungen an Firmenmitarbeiter als Zeugen mündlich auszusprechen und diese sofort in den Räumen des Unternehmens zeugenschaftlich zu vernehmen. Die Firmenleitung wird gebeten, einen Raum und oftmals auch einen PC und Drucker zur Protokollierung zur Verfügung zu stellen. Selbstverständlich gibt es für diese „Sach- und Raumhilfe“ keine Verpflichtung, kein Unternehmen muss dem zustimmen. Wird das verweigert, sprechen einige Staatsanwaltschaften gleichwohl mündlich Ladungen für den gleichen Tag aus. Vom Zeugen wird verlangt, dass er sich praktisch sofort zur Staatsanwaltschaft begibt und aussagt. Auch Zeugenvernehmungen im Pkw (des Staatsanwaltes) hat es schon gegeben.

Grundsätzlich kennt die Strafprozessordnung im Ermittlungsverfahren eben keine Mindest-Ladungsfristen für Zeugen11. Auch gibt es kein Formerfordernis, dass eine Ladung zur Vernehmung schriftlich erfolgen muss.12 Auf der anderen Seite ist wie dargestellt das Recht eines Zeugen anerkannt, sich über Bedeutung und Tragweite eines möglichen Aussage- oder Auskunftsverweigerungsrechtes mit einem Rechtsanwalt seiner Wahl als Zeugenbeistand zu erörtern. Das aber setzt zwingend voraus, dass Zeit und Gelegenheit gegeben werden muss, eine entsprechende Beratung einzuholen und für Vertretung zu sorgen. Der Zeuge, der demnach bei einer so beschriebenen „Sofortladung“ in irgendeiner Art und Weise auch nur die entfernte Möglichkeit einer Selbst- oder Angehörigengefährdung glaubhaft machen kann, hat daher das Recht, innerhalb zumutbarer Fristen die Angelegenheit zunächst mit einem Rechtsanwalt seines Vertrauens als Zeugenbeistand zu erörtern und nur in seiner Anwesenheit zeugenschaftlich auszusagen13.

In der Praxis gehört einige Standfestigkeit dazu, dieses Recht des Zeugen auch tatsächlich durchzusetzen, wenn entsprechender Druck seitens der Staatsanwaltschaft anlässlich einer Firmendurchsuchung ausgeübt wird. Der Beistand eines auf eine derartige Situation vorbereiteten oder entsprechend erfahrenen Firmenjustiziars kann hier ebenso helfen wie die Intervention des zur Durchsuchung hinzugezogenen Rechtsanwaltes. Dabei kann seitens der Staatsanwaltschaft keineswegs verlangt werden, der Zeuge möge die Frage möglicher Aussage- und Auskunftsverweigerungsrecht mit dem anwesenden Syndikusanwalt oder dem vom Unternehmen beauftragten Rechtsanwalt an Ort und Stelle erörtern, um danach sofort aussagen zu können: Zum einen wird regelmäßig zur Prüfung eine Beiziehung von Unterlagen oder eine Einarbeitung nötig sein. Zum anderen aber darf der Zeuge gerade in einer solchen Situation nicht gezwungen sein, sich dem vom Unternehmen beauftragten Rechtsanwalt zu offenbaren. Er hat wie generell natürlich das Recht, die Dinge mit einem Rechtsanwalt seines Vertrauens und seiner Wahl zu erörtern14. Darüber hinaus wird der Firmenanwalt es in einer solchen Situation allerhöchstens auf einen allgemeinen Hinweis zur Beiziehung eines externen Zeugenbeistandes belassen, wegen der Gefahr einer möglichen Interessenkollision15. Ein Mandat zur Zeugenbeistandsleistung für den Zeugen wird er ohne Gefahr mindestens einer Berufspflichtverletzung in vielen Fällen daher überhaupt nicht spontan „an Ort und Stelle“ annehmen wollen16.

Bei Zeugenladungen der Polizeibehörden trifft den Beschuldigten dagegen keine Pflicht zum Erscheinen.17 Diese Tatsache ist viel zu wenig bekannt. Die Polizei selbst hat kein Interesse daran, einen Zeugen über die Rechtslage dergestalt aufzuklären, dass er ihrer Ladung überhaupt nicht Folge zu leisten braucht. Im Gegenteil – besieht man sich die jeweiligen Zeugenladungsformulare der Polizei, dann finden sich dort vielerlei Regelungen, die alle für einen durchschnittlich intelligenten Bürger nur den Schluss zulassen, dass er zum Erscheinen verpflichtet sei (etwa Hinweise auf Fahrtkostenersatz, das Mitbringen der Ladung und Ausweispapiere, rechtzeitiges Absagen bei Verhinderung mit Vereinbarung eines neuen Termines etc.) – es fehlt jedoch jede Aufklärung darüber, dass der Zeuge überhaupt nicht erscheinen muss, sondern eine Ladung vor die Staatsanwaltschaft oder dem Ermittlungsrichter abwarten kann.
Nun liegt einer Unternehmensleitung, dem Firmenanwalt oder dem Zeugenbeistand nichts an einer bloßen Erschwerung polizeilicher Ermittlungen.
In vielen Fällen wird daher nichts einzuwenden sein dagegen, dass der Zeuge bei der Polizei erscheint und aussagt. Das ist jedoch nicht in allen Fällen so. Zum einen stehen die Polizeibeamten dem Rechtsanwalt als Zeugenbeistand regelmäßig misstrauisch, nicht selten abweisend und manchmal geradezu feindselig gegenüber. Immer wieder wird behauptet, der Zeugenbeistand habe kein Anwesenheitsrecht während einer polizeilichen Vernehmung. Das ist zum einen unrichtig18 und zum anderen auch ganz unerheblich, da der Zeuge wie dargestellt überhaupt keiner Aussagepflicht bei der Polizei unterliegt. Wenn also der Rechtsanwalt als Zeugenbeistand des Vernehmungszimmers verwiesen werden soll, nimmt er zweckmäßigerweise seinen Mandanten gleich mit. Ein Hinweis auf diese Rechtslage hilft in der Regel, sein Anwesenheitsrecht problemlos durchzusetzen. In vielen Fällen lösen polizeiliche Zeugenladungen für Mitarbeiter des Unternehmens auch organisatorische Schwierigkeiten aus. Wird beispielsweise gegen Verantwortliche eines Krankenhauses wegen des Verdachtes der fahrlässigen Tötung ermittelt, werden nicht selten sämtliche Stationsärzte und das Pflegepersonal an einem Vormittag im Stundentakt zur Polizei vorgeladen. Dann müsste man die Station schließen. Mit der Kenntnis, dass die Zeugen generell nicht vor der Polizei aussagen müssen, wenn sie es nicht wollen, lassen sich entweder die Vernehmungstermine so verschieben, dass sie mit den notwendigen Diensten nicht in Konflikt stehen – oder aber der Vernehmungsbeamte kann besser noch dazu bewegt werden, die Vernehmungen nicht im Polizeipräsidium, sondern im Besprechungszimmer des Krankenhauses vor Ort durchzuführen. Unannehmlichkeiten und Zeitaufwand einer Zeugenaussage lassen sich so für die Mitarbeiter erheblich reduzieren. Die mit einer Vernehmung der Unternehmensmitarbeiter verbundene betriebsinterne Aufregung wird erheblich reduziert.

Ausnahmsweise kann die fehlende Anwesenheitspflicht des Zeugen dazu führen, dass eine Vernehmung vor einem bestimmten Beamten oder einem bestimmten Kommissariat generell abgelehnt wird. Es treten immer wieder Fälle auf, in denen einzelne Polizeibeamte ein derartig überschießendes Strafverfolgungsinteresse an den Tag legen, das vom Unternehmen und den Verantwortlichen als wirkliche Bedrohung angesehen wird und in denen die Sachlichkeit ganz erheblich leidet. Manche Polizeibeamte nutzen auch Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktionen zu Machtspielereien aus. In solchen Fällen werden die vor die Polizei geladenen Zeugen klar und deutlich zum Ausdruck bringen, dass sie entweder überhaupt keine Vernehmung dort wünschen oder jedenfalls nicht vor den negativ aufgefallenen Beamten.

Erscheinungspflicht besteht für den Zeugen ebenso wie vor der Staatsanwaltschaft in Steuerstrafsachen auch bei Ladungen der Finanzbehörde (StraBu- bzw. je nach Bundesland BuStra-Behörde, nicht aber bei Ladungen der Steuerfahndung!) die mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden kann.19

Auskunftsverweigerungsrecht des „gefährdeten“ Zeugen

Nach § 55 StPO kann der Zeuge die Auskunft auf alle Fragen verweigern, deren Beantwortung ihn selbst oder einen Angehörigen im Sinne von § 52 I StPO in die Gefahr eigener Strafverfolgung bringen würde. Dabei ist keineswegs zu verlangen, die mögliche Selbstgefährdung in allen Einzelheiten glaubhaft zu machen. Hierdurch könnte der Zeuge nämlich gezwungen sein, bereits Fakten offen legen zu müssen, die zur Selbstbelastung geeignet sind20. Auch eine solche Verfahrensweise würde gegen das nemo-tenetur-Prinzip verstoßen.

Nun ist bei Angehörigen von Wirtschaftsunternehmen – insbesondere Führungskräften – bekanntlich äußerst schwierig abzuschätzen, wo strafrechtliche Verantwortlichkeit beginnt und endet. Auch der Verantwortliche hinter einem dolos und strafrechtlich voll verantwortlich handelnden Täter kann selbst (mittelbarer) Täter eines strafbaren Deliktes sein21. Strafrechtliche Verantwortlichkeit kann ferner aus dem Gesichtspunkt des Organisationsverschuldens mit seinen vielen Ausprägungen erwachsen22. Aufgabenteilung in Wirtschaftsunternehmen bedeutet im strafrechtlichen Sinne bekanntlich nicht Verantwortungsteilung, sondern im Gegenteil Verantwortungsvervielfachung23. Allein die Kenntnis beanstandungswürdiger Vorgänge der früheren Jahre kann für eine Unternehmensführung bei Untätigkeit Strafbarkeit bedeuten. Zu erwähnen sei an dieser Stelle nur die Pflicht zur Korrektur als unrichtig erkannter steuerlicher Erklärungen früherer Veranlagungszeiträume, § 153 AO24.

Je höher ein Zeuge in der Firmenhirarchie eines Wirtschaftsunternehmens angesiedelt ist, desto besser sollte er sich deshalb über mögliche Selbstgefährdungen durch wahrheitsgemäße Aussage informieren, je sorgfältiger muss er sich vor einer Aussage von einem Zeugenbeistand über mögliche Risiken aufklären lassen.

In diesem Zusammenhang ist auf einen wohl nicht ausrottbaren Misstand hinzuweisen, nämlich die überwiegend anzutreffende unrichtige Belehrung über das Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO: Nicht selten wird falsch belehrt in etwa wie „Sie können die Aussage auf Fragen verweigern, wenn Sie sich selbst strafbar gemacht haben.“ oder oftmals etwas weniger falsch „Sie können die Auskunft auf Fragen verweigern, wenn Sie sich bei wahrheitsgemäßer Auskunft selbst einer strafbaren Handlung bezichtigen müssten“. Tatsächlich ist das Auskunftsverweigerungsrecht wegen möglicher Selbstgefährdung erheblich umfassender ausgestaltet: Schon wenn der Zeuge bei wahrheitsgemäßer Beantwortung der Frage der Gefahr eigener Strafverfolgung unterliegt – vollkommen einerlei, ob das berechtigt wäre oder nicht, ob er sich überhaupt strafbar gemacht hat oder die Strafverfolgungsbehörden das nur annehmen könnten, ob bereits ein Ermittlungsverfahren läuft oder die Einleitung zu befürchten ist – greift zu seinen Gunsten ein Auskunftsverweigerungsrecht auf eine entsprechende Frage25. Dabei muss jede denkbare Antwort des Zeugen als möglich unterstellt werden, bei einer ja/nein Frage also die Bejahung oder Verneinung in gleicher Weise26.

Wenn beispielsweise der Mitarbeiter eines Unternehmens in einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachtes illegaler Arbeitnehmerüberlassung gefragt wird, ob er die gegenüber Nachunternehmern verwendeten Vertragsformulare kannte und deren Verwendung duldete, so könnte der Zeuge die Antwort verweigern. Zu Gunsten seines Rechtes aus § 55 StPO muss nämlich die mögliche Antwort „ja“ abstrakt unterstellt werden, dann entstünde hieraus die Gefahr einer Selbstbelastung. Der Zeuge muss also gerade zu einer möglichen Antwort nichts glaubhaft machen, ansonsten würde sein Schweigerecht praktisch leer laufen, da er im Rahmen der Glaubhaftmachung gezwungen wäre, die Umstände anzudeuten und Ermittlungsansätze zu liefern, zu denen er auskunftsverweigerungsberechtigt ist. In Einzelfällen kann sich das Auskunftsverweigerungsrecht des Zeugen wegen Selbstgefährdungsgefahr zu einem vollständigen Schweigerecht auswachsen, wenn beispielsweise schon allgemeine Angaben zur Kenntnis von strafrechtsrelevanten Umständen oder etwa von Kontakten zu bestimmten Personen die Gefahr eigener Strafverfolgung mit sich bringt. Verhindert werden soll durch die Schutzvorschrift des § 55 StPO soll insbesondere, dass der Zeuge gezwungen wird, ein „mosaikartiges Beweisgebäude“27 zu seinen Lasten durch eigene Angaben mit zu erbauen.

Vorbereitung der Zeugenvernehmung, Empfehlungen des Zeugenbeistandes

Der Rechtsanwalt als Zeugenbeistand sollte unter allen Umständen vor der Vernehmung Gelegenheit haben, in Ruhe (und allein, ohne Justitiar oder Geschäftsführung des Unternehmens!) mit seinem Mandanten über die Aussage zu sprechen. Zunächst muss dem Betroffenen verdeutlicht werden, dass der Zeugenbeistand „sein“ Rechtsanwalt ist, der möglicherweise über die Geschäftsleitung bestellt und unter Umständen auch bezahlt wird, gleichwohl aber nur seine Interessen vertritt. Zwar ist die Vertretung der Firmeninteressen in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren einerseits und die Tätigkeit als Zeugenbeistand andererseits verfahrensrechtlich mangels entsprechender Verbotsvorschrift in der StPO nicht ausgeschlossen28 jedoch hat der betroffene Rechtsanwalt natürlich peinlich genau auf das Auftreten eines Konfliktes zwischen den Interessen des von ihm vertretenen Unternehmens und denen des Zeugen zu achten30.

Gleiches gilt für die Vertretung mehrerer Zeugen als Beistand – durch die Strafprozessordnung nicht verboten30, aber immer Anlass zu Überlegungen, ob das Berufsrecht oder gar § 356 StGB gebieten, die eigene Tätigkeit auf das Beistehen für einen einzigen Zeugen oder nur die Vertretung der Firmeninteressen zu beschränken.

In jedem Fall muss gegenüber dem Mandanten strikt der Eindruck vermieden werden, dass sein Rechtsanwalt als Zeugenbeistand eigentlich eher die Firmeninteressen vertritt oder gar von vorneherein unter Berichtspflicht gegenüber der Geschäftsführung steht, ob der Zeuge im Firmensinne ausgesagt hat. Wurde der Kontakt zwischen Anwalt und Zeugen von der Firmenleitung, der Rechtsabteilung oder dem vom Unternehmen beauftragten Anwaltsbüro hergestellt, dann ist generell ein ausdrücklicher Hinweis an den Zeugen zu geben, dass er selbstverständlich ohne weiteres berechtigt ist, jederzeit einen anderen Rechtsanwalt zu beauftragen, den er vielleicht aus der Vergangenheit und ohne Zusammenhang mit dem Unternehmen kennt und zu dem bereits ein gewachsenes Vertrauensverhältnis besteht.

Dieser Rat sollte auch nicht „routinemäßig“ oder gar abweisend, sondern mit Ruhe und Verständnis vorgetragen werden. Der Zeuge wird auf diese Weise sofort sehen, dass es dem Zeugenbeistand nur darum geht, seine Interessen zu vertreten und an der Durchsetzung seiner verfahrensmäßigen Rechte mitzuwirken. Entschließt er sich nach dieser Aufklärung, tatsächlich den Zeugenbeistand zu wechseln, so ist das gut so – und allemal besser ist für den ausgeschiedenen Rechtsanwalt, seine Tätigkeit gar nicht erst aufzunehmen, als dass sich der Zeuge in oder nach der Vernehmung und dem Offenbarwerden von Gefährdungslagen oder Interessenkonflikten plötzlich gegen seinen eigenen Zeugenbeistand wendet und unzulässige Einflussnahmen behauptet.

Des weiteren sollte mit dem Zeugen ausdrücklich geklärt werden, dass er im Strafverfahren ungeachtet seiner Firmenzugehörigkeit unter strenger Wahrheitspflicht steht. Das ist im Wirtschaftsleben nicht so selbstverständlich, wie es sein sollte. In einem gegen Mitarbeiter oder Verantwortliche eines Wirtschaftsunternehmens gerichteten Ermittlungsverfahren stehen praktisch immer auch Firmeninteressen oder solche der jetzigen Geschäftsführung auf dem Spiel. Es wird deshalb in rechtstaatlicher Hinsicht viel verlangt von einem Betriebsangehörigen, ohne jede Rücksicht auf Firmenraison und persönliche Freundschaft wahrheitsgemäß über einen langjährigen Arbeitskollegen, Vorgesetzten oder die Vorstandsetage selbst aussagen zu müssen, während ihm in einem Strafverfahren gegen seine geschiedene Ehefrau, von der er sich bereits vor 30 Jahren getrennt und die er nie wieder gesehen hatte, ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht zustehen würde.31 Gleichwohl ist an der Aussagepflicht nach derzeitiger Rechtslage nichts zu rütteln32.

Klarzumachen ist dem Zeugen auch, dass arbeitsrechtliche Anweisungen33 ebenso wenig wirksam sind und ihn nicht vor der Gefahr einer Falschaussage schützen wie die grundsätzliche oder sogar per Arbeitsvertrag ausdrücklich formulierte Verschwiegenheitsverpflichtung. Die Zeugenpflicht geht vor.

Auch zum Inhalt der Zeugenaussage gibt es wichtige Hinweise, die mit einer unzulässigen Beeinflussung nichts zu tun haben. So sollte beispielsweise aufgezeigt werden, dass der Zeuge zwar zu einer vollständigen Aussage verpflichtet ist – Weglassungen sind unzulässig, soweit sie dazu führen, dass der protokollierte Rest der Aussage (immer bezogen auf das vom Vernehmenden abgefragte Beweisthema!) insgesamt nicht mehr richtig, sondern durch die „Lücken“ als falsch bezeichnet werden muss34 -, jedoch sollte man dem Zeugen davon abraten, eher weitschweifig auch Dinge zu Protokoll zu geben, die nicht gefragt werden und auch nicht zum Beweisthema gehören.

Der Zeuge und sein Beistand sollten immer berücksichtigen, dass die Aussage – und sei es auch erst in Wochen oder Monaten – der Akteneinsicht des Beschuldigten und auch getrennt davon in den allermeisten Fällen einem Akteneinsichtsrecht des betroffenen Unternehmens unterliegt.35 Wenn sich dann ergibt, dass der Firmenmitarbeiter nicht nur zu den befragten Beweisthemen ausgesagt hat, sondern in vorauseilendem Gehorsam und ohne Verpflichtung hierzu Bekundungen zu Protokoll gegeben hat, die zur Intensivierung der Ermittlungsmaßnahmen gegenüber dem Unternehmen und den Mitarbeitern geführt haben, dann wird mindestens betriebsintern Unfrieden hieraus entstehen können.

Es ist natürlich das gute Recht eines Zeugen, dem Ermittlungsbeamten alles mögliche auch ungefragt zu erzählen – nur verpflichtet hierzu ist er eben nicht. Das sollte man vor einer Vernehmung verdeutlichen, mit den oben aufgezeigten Grenzen der Unwahrheit einer Zeugenaussage durch Unvollständigkeit.

Dem Zeugen ist im Regelfall eher anzuraten, kurz auszusagen als weitschweifend – ganz abgesehen davon, dass Vernehmungen oftmals Stunden, manchmal tagelang andauern. Das ist nicht in allen Fällen zu verhindern – aber der Zeuge muss nicht auch noch selbst dazu beitragen. Dem Zeugen sollte auch strikt davon abgeraten werden, irgendwelche nicht durch Tatsachen unterlegte Vermutungen oder Äußerungen zu Protokoll zu geben, die eher Gegenstand eines Sachverständigengutachtens als einer Zeugenaussage sein sollten. Verpflichtet ist er nur, über tatsächliche Geschehnisse seiner Wahrnehmung vollständig und wahrheitsgemäß auszusagen. Beurteilungen und Bewertungen sind nicht seine Sache.

In vielen Fällen liegt nämlich sehr nahe, dass die Ermittlungsbehörden sich über die Befragung von Zeugen auch Sachverstand in dem von ihnen kriminalistisch zu untersuchenden Geschäftsfeld zu verschaffen suchen. Möglicherweise ergeben sich aus bloßen Vermutungen oder Verdächtigungen konkrete Ermittlungsansätze oder Verdachtslagen, die weitere strafprozessuale Eingriffe rechtfertigen. Gegenstand des Zeugenbeweises sind jedoch Tatsachen, und gerade nicht Rechtsfragen, Erfahrungssätze, allgemeine Eindrücke, Schlussfolgerungen oder Mutmaßungen36. Ebenfalls sind differenzierte Werturteile nicht Gegenstand des Zeugenbeweises37, sondern allenfalls die Bekundungen des Zeugen über Tatsachen, die den Schluss auf bestimmte Umstände oder ein Werturteil rechtfertigen.

Natürlich kann jeder Zeuge in einer Aussage seinen Mutmaßungen und Bewertungen freien Raum lassen, soweit er sie als solche kennzeichnet. Auf der anderen Seite muss ihm auch hier wieder klar sein, dass irgendwann zu einem späteren Zeitpunkt die (möglicherweise von ihm ohne Tatsachengrundlage zu Unrecht angeschwärzten) Beschuldigten Akteneinsicht erhalten, darüber hinaus das Wirtschaftsunternehmen selbst. Der Betriebsfrieden kann nachhaltig gestört sein. Für die Strafverfolgungsbehörden wäre das völlig einerlei, für den Zeugen nicht.

Deshalb ist dem Zeugen eher anzuraten, sich in seiner Aussage auf die Darstellung von Tatsachen zu beschränken, und sich der manchmal vorhandenen Verlockung zu entsagen, betriebsinterne Sachverhalte zu bewerten, zu vermuten oder kriminalistische Schlüsse zu ziehen. Das alles ist Strafverfolgungsaufgabe, liegt nicht im Verantwortungsbereich eines Zeugen.

Immer wieder verlangen die Ermittlungsbehörden gerade in Wirtschaftsstrafverfahren von Zeugen auch, dass diese Unterlagen zusammenstellen sollen, Berechnungen durchführen, betriebsinterne Erkundigungen einziehen (!) und diese „Arbeitsergebnisse“ der Staatsanwaltschaft übermitteln sollen. In größeren Unternehmen werden nicht selten Mitarbeiter der Revisionsabteilung für Ermittlungstätigkeiten geradezu „eingespannt“. Der Zeuge ist zu derartigen Verrichtungen im Staatsinteresse nicht verpflichtet (seine Arbeitgeberin ebenfalls nicht). Er ist nicht Hilfsstaatsanwalt und will in den allermeisten Fällen auch keiner werden. Bei derlei Tätigkeiten außerhalb der eigentlichen Zeugenpflicht wird auch die arbeitsrechtliche Pflicht zur Verschwiegenheit über berufliche Vorgänge jedenfalls nicht von vornherein und vollständig unbeachtlich sein. Der Zeuge wird daher vor der Durchführung von eigenen, „internen Ermittlungen“ überlegen, ob er die gewünschten Dienste leisten möchte, und er wird die Firmenleitung informieren und anfragen, ob dort zu- oder abgeraten wird. In vielen Fällen wird die Entscheidung eher dahin gehen, nur den staatsbürgerlichen Zeugenpflichten nachzukommen, aber die verlangte Mehrarbeit nicht zu leisten. Jedenfalls sollen diese Frage der Zeuge in seinem und die Firmenleitung im Unternehmensinteresse entscheiden.

Immer wieder kommt jedenfalls vor, dass ein Mitarbeiter oder eine Unternehmensleitung sich zur aktiven Aufklärungshilfe verpflichtet fühlen, daher recherchieren, sammeln, darlegen, – alles im festen Glauben, man sei dazu verpflichtet – um dann später festzustellen, dass man hierdurch die Interessen der Mitarbeiter und der Firma ohne Not erheblich beeinträchtigt hat, und sei es auch nur durch Verhinderung einer frühen Verfahrenseinstellung infolge eigenen Herbeischaffens von zusätzlichem Ermittlungsmaterial.

Strikt abzuraten ist davon, den Zeugen vor seiner Vernehmung auf seine Aussage „firmenintern vorzubereiten“. Erörterungen mit dem Justitiar oder der Firmenleitung über den bevorstehenden Vernehmungstermin, das Anfertigen von Protokollen hierüber oder Aktennotizen – das alles muss der Zeuge spätestens dann auch dem Vernehmungsbeamten mitteilen, wenn er dazu befragt wird. Erfahrene Vernehmer fragen bei Ermittlungen in Wirtschaftsunternehmen garantiert, ob und in welcher Weise mit dem Zeugen seine bevorstehende Vernehmung in der Firma erörtert wurde. Kommt dann zutage, dass es mehrere „Einzelgespräche“ oder Konferenzen in der Rechtsabteilung gegeben hat, dann kann der Verdacht der unzulässigen Beeinflussung entstehen, im Extremfall die Annahme von Verdunkelungsgefahr mit den hieraus möglichen Konsequenzen38.

Manchmal werden solche „Vorgespräche“ vom Zeugen auch abgeleugnet, weil er befürchtet, etwas Unrechtes getan zu haben. Dann hat er die Falschaussage zu eigenen Lasten schon abgeliefert. Der Zeuge hat dagegen – hergeleitet aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Art. 2 Abs. 1 GG – ein vollständiges Schweigerecht über sämtliche Gespräche, die er mit seinem anwaltlichen Zeugenbeistand vor oder während seiner Vernehmung geführt hat39 Es würde ihn unzulässig im Kernbereich seines absolut geschützten Persönlichkeitsrechtes treffen, wenn er zwar einerseits einen Zeugenbeistand beiziehen und mit diesem – der schon von Berufs wegen unter Strafandrohung ebenfalls zum Schweigen über den Inhalt der Gespräche verpflichtet ist – das ganz persönliche Für und Wider seiner Aussage erörtern zu können, andererseits aber verpflichtet wäre, über den Inhalt dieser Gespräche Auskunft zu geben. Dieses Schweigerecht des Zeugen ist auch nicht etwa beschränkt auf Themenbereiche, deren Offenbarung ihn wiederum in die Gefahr einer Selbstbelastung bringen, sondern – da basierend auf dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht – umfassend ausgestaltet40.

Die Konsequenz hieraus liegt auf der Hand: Damit der Zeuge möglichst unbefangen aussagen kann und bei den Strafverfolgungsbehörden nicht der Eindruck einer Beeinflussung seiner Aussage durch Firmenverantwortliche entsteht, sollten Vorgespräche „in house“ in ganz engen Grenzen gehalten oder gar vollständig vermieden werden. Nur der Zeuge selbst und sein anwaltlicher Zeugenbeistand haben ein Schweigerecht hinsichtlich ihrer Erörterungen. Erforderliche Kontakte sollten gegebenenfalls zwischen den anwaltlichen Beiständen stattfinden, unterliegen sodann von beiden Seiten der beruflichen Schweigepflicht, und der Zeuge muss hierüber ebenfalls nichts aussagen41.

Auch in diesem Zusammenhang versteht sich von selbst, dass diese Privilegierungen nicht als Kanal für unzulässige Einflussnahmen auf den Zeugen missbraucht werden dürfen. Das Schweigerecht des Zeugen umfasst im übrigen auch jegliche Antwort auf die tatsächlich manchmal vom Vernehmenden provozierend gestellte Frage, wer ihm den Zeugenbeistand denn vermittelt habe und von wem dieser bezahlt werde.

Davon abzuraten ist ferner, dem Zeugen zur Vorbereitung seiner Aussage die im Verfahren relevanten Unterlagen zu übergeben oder ihn in die Akten vollständig Einsicht nehmen zu lassen. Schutzschriften der Verteidiger der Beschuldigten oder Firmenstellungnahmen42, möglicherweise auch interne Untersuchungsprotokolle sollten ihm nicht vorgelegt oder gar ausgehändigt werden. Der Eindruck der unzulässigen Beeinflussung kann hierdurch sehr leicht entstehen. In jedem Fall ist die Beweisquelle getrübt. Nicht selten nimmt der Zeuge auf ihm zur Kenntnis gebrachte Unterlagen in seiner Aussage Bezug („Wie der Rechtsanwalt unserer Firma auch geschrieben hat, ist damals …“).

Bringt er als „Gedächtnisstütze“ derlei Unterlagen in Kopie zur Vernehmung mit, riskiert er zudem eine sofortige Beschlagnahme wegen Gefahr im Verzug.43

Nichts dagegen einzuwenden und in vielen Fällen zweckmäßig ist sicherlich, wenn der Zeuge zur Vorbereitung seiner Vernehmung selbst Dokumente beizieht, an deren Errichtung oder Verwendung er in der Vergangenheit beteiligt gewesen ist.

Dem Zeugen sollte ferner klar gemacht werden, dass er nicht etwa verpflichtet sein kann, sich an noch so fern liegende Umstände immer erinnern zu müssen. Das klingt banal, wird aber gerade von den um Wahrheit und Vollständigkeit sehr bemühten Zeugen oftmals nicht zutreffend gesehen. Genauso wie es den Zeugentypus gibt, der grundsätzlich vorgibt, alles immer vollständig und richtig mitbekommen zu haben und bekunden zu können44, so fürchten andere Zeugen nicht selten die Verfolgung wegen einer Falschaussage, wenn sie sich an einzelne Umstände einfach nicht mehr erinnern.

Aus dieser Fehlvorstellung heraus aber werden nicht selten Geschehnisse – oftmals auf mehr oder weniger suggestiven Vorhalt des Vernehmenden, der bewusst oder unbewusst sein Ermittlungsbild bestätigt sehen möchte – als richtig bestätigt, an die in Wirklichkeit überhaupt kein Erinnerung mehr besteht.

Deshalb sollte der Rechtsanwalt den Zeugen in diesem Punkt aufklären und veranschaulichen, dass Irrtümer oder Erinnerungslücken eben als normale Erscheinung anzusehen sind45.

Der Zeuge sollte ferner dazu ermutigt werden, seinen Aussagebericht möglichst ohne Wertungen und Steuerungen zu Protokoll zu geben („wie einen Film ablaufen lassen“). Detailreichtum auch in für das Beweisthema unerheblichen Nebenpunkten stellt ein wichtiges Realitätskriterium dar, in dem sich tatsächlich Erlebtes von nur auswendig Gelerntem unterscheidet46. Solche Hinweise sind natürlich in erster Linie Sache des Vernehmenden. Sie werden jedoch zu selten gegeben und sind vor allem dann seitens des Zeugenbeistandes angebracht, wenn die Angaben des Zeugen eher Entlastendes beinhalten und deshalb erst ein gewisser Widerstand des Vernehmers bei Kenntnisnahme und manchmal sogar Protokollierung der Einzelheiten überwunden werden muss.

Ein Recht auf Akteneinsicht zur Vorbereitung seiner Vernehmung steht weder dem Zeugen selbst noch dessen Zeugenbeistand zu. Ist der Zeuge gleichzeitig Geschädigter oder hat er sonst ein berechtigtes Interesse an einer vollständigen oder begrenzten Akteneinsicht47, so kann ihm allenfalls hieraus ein Einsichtsrecht entstehen. Es bestehen keine Bedenken, dass der Zeugenbeistand als gleichzeitiger anwaltlicher Vertreter dieses Recht bereits vor einer Vernehmung geltend macht. Die Strafverfolgungsbehörden werden entscheiden, ob dem sofort nachzukommen ist oder zur Gewinnung einer möglichst unbefangenen Zeugenaussage erst später. Gegebenenfalls kann auch mit dem zuständigen Staatsanwalt vereinbart werden, dass dem Zeugenbeistand anlässlich der Vernehmung kurz Akteneinsicht ganz oder teilweise bei der Polizei oder der die Vernehmung ausführenden Behörde gewährt wird.48

Unterliegt der Zeuge der beruflichen Schweigepflicht49, so hat der Zeugenbeistand abzuklären, in welchem Umfang eine Entbindung hiervon vorliegt und daher auch das Recht und die Pflicht zu Aussage besteht. Ratsam ist in jedem Fall, dass eine solche Entbindungserklärung schriftlich erteilt und gegenständlich möglichst genau beschrieben wird, damit es über den Umfang der Aussagepflicht keinen Zweifel geben kann.

Liegt keine Schweigepflichtsentbindung vor, dann muss mit dem Zeugen ferner geklärt werden, ob er gleichwohl in einem Sonderfall zur Wahrung eines höherrangigen Rechtsgutes und nach sorgfältiger Güter- und Interessenabwägung aussagen will50 oder hierzu im Einzelfall sogar verpflichtet sein kann51.

Zu berücksichtigen ist ferner, dass über die Geltendmachung eines Schweigerechtes des sogenannten Berufshelfers (etwa der Krankenschwester, der Steuer- oder der Rechtsanwaltsfachangestellten) nicht der Zeuge selbst entscheidet, sondern der Berufsangehörige mit Wirkung für ihn52.

Immer wieder ist jedenfalls in der Praxis zu beobachten, dass sich die einer gesetzlichen Schweigepflicht unterliegenden Personen zu wenig im Klaren sind über ihre Pflicht zur Verschwiegenheit und dessen Umfang. Hinzu kommt, dass die Strafverfolgungsbehörden nicht verpflichtet sind, von sich aus auf die berufliche Schweigepflicht hinzuweisen53, und sogar eine unter Verstoß gegen § 203 StGB zu Protokoll gegebene Aussage in vollem Umfang verwertet werden kann54. Es ist daher nur der Zeugenbeistand, der alle diese Fragen vor der Vernehmung zum Schutz des Zeugen in Ruhe erörtern und klären kann.

Hinweise zum Ablauf der Vernehmung selbst

Die Befugnisse des Zeugenbeistandes beschränken sich formell auf das Anwesenheitsrecht bei den Vernehmungen und die interne Beratung des Zeugen, insbesondere über die Geltendmachung von Aussage- und Auskunftsverweigerungsrechten. Verfahrensmäßige Beanstandungs- oder Fragerechte hat er nicht.

In der Praxis wirkt sich regelmäßig allein schon die stumme Anwesenheit des Zeugenbeistandes positiv für den Zeugen aus. Unangenehme Drucksituationen kommen eher bei polizeilichen, allenfalls noch staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen vor als bei Aussage vor dem Ermittlungsrichter oder dem erkennenden Gericht. Die freundliche Anwesenheit eines Rechtsanwaltes kann insbesondere bei polizeilichen Vernehmungen schon Wunder bewirken. Treffen ansonsten die gegenüber vielen Strafverteidigern und dem Verfasser regelmäßig von Mandanten mitgeteilten Erlebnisberichte zu, dann ist ein großer Teil der nicht vor der Staatsanwaltschaft oder dem Richter stattfindenden Vernehmungen weit vom gesetzlichen Leitbild (vgl. §§ 136 a StPO) entfernt, wenn der Zeuge dort ohne Beistand vernommen wird.

Wird dagegen im Einzelfall (vor allem bei polizeilichen Vernehmungen oder solchen anderer Exekutivbehörden, selten bei der Staatsanwaltschaft oder dem Ermittlungsrichter) immer noch suggestiv oder drängend befragt, wird unrichtig über Auskunftsverweigerungsrechte belehrt oder falsch protokolliert55, so hat der anwaltliche Zeugenbeistand für den Zeugen sofort zu intervenieren. Dabei empfiehlt es sich, bereits den ersten beanstandungswürdigen Vorgang auch klar und deutlich auszudiskutieren, nötigenfalls die tatsächliche Rechtslage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass die Schutzrechte des Zeugen (insbesondere aus dem nemo tenetur Prinzip) nicht zur Disposition stehen.

Erfahrungsgemäß kühlt sich zwar hierdurch das Klima zunächst sehr ab, wird aber die Vernehmung im Anschluss daran mit der gebotenen Neutralität fortgesetzt, nicht selten allerdings mit der einen oder anderen sarkastischen Bemerkung des Vernehmenden in Richtung auf den (regelmäßig seiner Auffassung nach überflüssigen bis hinderlichen) Zeugenbeistand.

Für den Zeugen selbst oder seinen Beistand gibt es kein Recht, eine Kopie des Vernehmungsprotokolls zu erhalten. Gleichwohl kann in vielen Fällen – im Einzelfall sogar in Steuerstrafverfahren ungeachtet der Vorschrift des § 30 AO – mit den Vernehmungsbeamten abgeklärt werden, dass eine Abschrift ausgehändigt wird. Äußerstenfalls wird man dem Zeugenbeistand mangels gesetzlicher Vorschrift nicht verwehren dürfen, die Aussage seines Mandanten wörtlich mitzuschreiben.

Nicht vergessen darf der Zeugenbeistand, mit seinem Mandanten im Anschluß an die Vernehmung zu klären, ob er gegenüber Dritten – etwa dem Vorgesetzten, dem Syndikusanwalt des Unternehmens, Verteidigern oder der Firmenleitung – über Ablauf und Inhalt der Zeugenvernehmung berichten darf, also von seiner Schweigepflicht entbunden wird bzw. bleibt. Es empfiehlt sich, hier noch einmal ausdrücklich nachzufragen und in allen Zweifelsfällen einen entsprechenden Vermerk zur Akte zu bringen.

Für den Zeugenbeistand gilt wie für den Strafverteidiger und den Rechtsanwalt allgemein: Man selbst erfährt die ganze Wahrheit manchmal erst “ scheibchenweise “ und leider zum Teil aus anderen Informationsquellen als dem eigenen Mandanten. Möglicherweise wird deshalb erst im Verlauf der Vernehmung deutlich, daß es entgegen früherem Kenntnisstand sehr wohl einen Interessenkonflikt zwischen dem Mitarbeiter und seiner Firma gibt oder es bei etwas Erfahrung geradezu auf der Hand liegt, dass ein solcher Konflikt in Zukunft entstehen wird.

In einem solchen Fall wird der Zeugenbeistand von einer ihm bereits vor der Vernehmung erteilten Schweigepflichtentbindung ohne erneute Nachfrage und gegebenenfalls einer entsprechenden Beratung seines Mandanten nicht mehr ohne weiteres Gebrauch machen. Auch hier gilt: Der Zeugenbeistand steht dem Zeugen bei, und sonst niemandem. Findet sich der Rechtsanwalt aufgrund einer so beschriebenen Änderung der Tatsachen oder seiner persönlichen Kenntnis hierüber plötzlich selbst zwischen sich widerstreitenden Interessen wieder, so bleibt ihm nur die umgehende Gesamtbeendigung seines Mandates.

Schluss

Dem anwaltlichen Zeugenbeistand kommt gegenüber dem Mitarbeiter von Wirtschaftsunternehmen und sonstigen Organisationen eine äußerst wichtige Funktion zu. Er hat für diesen – allein dessen Interessen verpflichtet – die verfahrensmäßigen Rechte einzufordern und durchzusetzen. Darüber hinaus kann er dazu beitragen, die für den Zeugen persönlich unangenehmen bis im Einzelfall beruflich existenzgefährdenden Auswirkungen der Zeugenpflicht auf das notwendige Maß zu beschränken. Schließlich kann er entscheidend Ängste und Nöte abbauen helfen, die objektiv zwar oft unbegründet sein mögen, aber den Zeugen subjektiv regelmäßig nicht wenig belasten.


1 Vgl. Karlsruher Kommentar-Boujong § 136 Rz. 10
2 vgl. hierzu umfassend Sommer, Auskunftsverweigerungsrecht des gefährdeten Zeugen, abgedruckt in StraFo 1998, S. 8 ff.
3 BVerfGE 38, S. 105 (120) abgedruckt in NJW 1975, S. 103 f.;, hierzu Thomas in NStZ 1975, S. 103
4 vgl. etwa §§ 68 a, 55 Abs. 2 StPO
5 Beschluss Abteilung Strafrecht VIII. Zeugenbeistand Zif. 1, www.djt.de/62djt/strafrecht.html
6 BVerfG 1 BvR 1331/99 vom 17.04.2000; http://www.bverfg.de
7 Die StA vermutete wegen der gleichzeitigen Vertretung des Unternehmens eine unzulässige Interessenkollision
8 a.a.O., Rz. 22
9 und des Art. 2 Abs. 1 GG, hierzu sogleich näher
10 vgl. § 161 a Abs. 2, wobei die Anordnung von Haft dem Richter vorbehalten bleibt.
11 Vgl. § 48 StPO
12 Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 48 Rz. 1
13 vgl. Ries, Zeugenschutz bei Vernehmungen im Strafverfahren in NJW 1998, S. 3240 (3242)
14 vgl. auch § 137 Abs. 1 Satz 1 StPO, § 3 Abs. 3 BRAO.
15 Vgl. §§ 356 StGB, 43 a Abs. 4 BRAO und § 3 BORA mit der auch bereits bei Beauftragung mehrerer Sozien einer Kanzlei problematischen Regelung in § 3 Absatz 2 BORA.
16 Allgemein zur Stellung des Syndikusanwaltes im Strafverfahren vgl. Kramer in AnwBl 2001, S. 141.
17 allg. Meinung, Gegenschluß aus § 161 a I S. 1 StPO.
18 vgl. § 3 Abs. 3 BRAO, eine Ungleichbehandlung ist gegenüber der staatsanwalschaftlichen oder richterlichen Vernehmung überhaupt nicht zu rechtfertigen; i.Erg. ebenso Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 392 Rz. 219; BVerfG a.a.O.
19 Vgl. §§ 399, 386, 404 AO, hierzu Kohlmann a.a.O., § 385 AO Rz. 94, 126
20 BGH in NJW 1998, S. 1728 – Fall Markus Wolf –
21 BGH in NJW 1994, S. 2703
22 so ausdrücklich BGH in NStZ 1997, S. 125
23 Schmidt/Salzer in NJW 1990, S. 2966 (2970)
24 zur strafrechtlichen Relevanz vgl. Tipke/Kruse, § 153 AO, Rz. 19
25 Sommer, a.a.O. S. 11 m. w. N.
26 BGH in NJW 1998, S. 1728
27 BGH a.a.O.
28 BVerfG a.a.O.
29 vgl. oben Fußnote 15
30 Kleinknecht a.a.O., vor § 48 Rz. 11, ebenso BGH5 StR 47/90
31 vgl. § 52 I Nr. 1 StPO
32 zu Verbesserungsmöglichkeiten de lege ferenda vgl. 62. DJT 1998 Abteilung Strafrecht, V Zeugnisverweigerungsrechte, Alternativantrag Nelles, www.djt.de/62djt/strafrecht.html
33 Zu den Grenzen des sogenannten Direktionsrechtes vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch § 31 Rz. 32
34 Schönke/Schröder-Lenckner, StGB, Vorb. 16 zu §§ 153 ff. m. w. N.
35 Vgl. die umfangreichen Neuregelungen des Akteneinsichtsrechtes durch Verteidiger und Dritte in den §§ 147, 474 ff. StPO.
36 So wörtlich Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, Vor § 48 Rz. 2.; Schönke/Schröder-Lenckner, StGB, Vorb. 11 zu § 153 ff. m. w. N.
37 BVerG a.a.O., NJW 1975, S. 103 104 a.E. >
38 Nämlich die Anordnung von Untersuchungshaft gegen Tatverdächtige, vgl. § 112 StPO.
39 Kleinknecht/Meyer-Goßner, Vor § 48 Rz. 11, OLG Düsseldorf in NStZ 1991, S. 504, LG Lübeck StV 1993, S. 516; LG Berlin StV 1994, S. 533
40 Auf der selben Linie vgl. die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zur Verwertung von Tagebuchaufzeichnungen, BVerfGE 80, S. 367
41 vgl. Fußnote 34
42 in vielen Wirtschaftsstrafsachen als Ergebnis einer absolut zulässigen und zweckmäßigen sogenannten Sockelverteidigung, vgl. Richter II in NJW 1993, S. 2152
43 vgl. 103 I, 105 I, S. 1 StPO, zu den allerjüngsten verfassungsrechtlichen Einschränkungen der vorschnellen Bejahung des Rechtsbegriffes „Gefahr im Verzug“ vgl. BVerfG 2 BvR 1440/00 vom 20.02.2001, www.bverfg.de
44 vgl. Bender/Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 2. Auflage 1995, Rz. 650
45 ebenso BGH in StV 1990, S. 110
46 Bender/Nack, a.a.O., Rz. 234
47 Vgl. § 475 ff. StPO n.F.
48 während die Polizei selbst oder auch der Ermittlungsrichter über Akteneinsicht im Ermittlungsverfahren nicht zu entscheiden haben, vgl. §§ 478 StPO n.F.; zu den Rechtsmittelmöglichkeiten vgl. § 478 Abs. III StPO.
49 vgl. § 203 StGB, § 53 StPO
50 vgl. beispielsweise OLG Köln in NJW 2000, S. 3656;
51 so OLG Frankfurt 8 U 67/99, abgedruckt in MedR 2000, S. 196, sehr zw.
52 Vgl. § 53 a StPO
53 allg. Meinung, vgl. Kleinknecht a.a.O., § 53 Rz. 44
54 BGH in NJW 1996, S. 2435
55 das Bundesverfassungsgericht jedenfalls hält (im Gegensatz wohl zu einer nicht geringen Anzahl von Staatsanwälten und Tatrichtern) durchaus für möglich, dass die Protokollierung einer Zeugenaussage (so wörtlich) „erfahrungsgemäß missglücken kann.“; BverfG a.a.O. in NJW 1975, S. 104