in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht (wistra) 2003, Seite 121: „Das Schweigerecht der juristischen Person als Nebenbeteiligte im Strafverfahren“.

1. Einleitung

Ein Schweigerecht für die juristische Person? Die juristische Person (nachstehend auch: jP) im Strafverfahren? Auf den ersten Blick betrachtet, scheinen diese Themen eher der Erörterung in einer auf Rechtspolitik ausgerichteten Zeitschrift würdig. Nach deutschem Strafrecht ist die jP nicht strafmündig, originär können sich deshalb keine Strafverfahren gegen sie richten, sondern allenfalls gegen ihre Mitarbeiter. Reden oder Schweigen kann die jP selbst ohnehin nicht, sondern äußert sich nur durch ihre Organe und Vertreter – und es mutet deshalb aus Sicht der Strafverfolgungspraxis fremd an, einem noch zu definierenden Personenkreis von Mitarbeitern der juristischen Person die Geltendmachung eines Schweigerechts für diese zuzubilligen.
Bei näherer Betrachtung ändert sich diese Beurteilung. Partiell scheint der Gesetzgeber bereits de lege lata das Schweigerecht der jP jedenfalls bei Selbstbelastungsgefahr ausdrücklich anzuerkennen 2, ebenso wie das BVerfG in einer früheren, eher unbeachtet gebliebenen Entscheidung zum Ordnungswidrigkeitenverfahren 3. Auch die gesetzlichen Regelungen zur Nebenbeteiligung 4 allgemein und bezogen auf die juristische Person im besonderen 5 sprechen eher dafür als dagegen.
Unrichtig ist ebenfalls die Annahme, dass die jP wegen fehlender Strafmündigkeit vom Strafverfahren nicht wesentlich betroffen sein soll. Das Gegenteil ist richtig. Sie steht als Adressatin einer Verfalls- oder Einziehungsanordnung und damit als Nebenbeteiligte direkt im Fadenkreuz der Strafverfolgung und riskiert auch ansonsten vielfältige staatliche Sanktionen bis hin zur Beendigung ihrer Existenz.
Diese Risiken fordern geradezu die Gewährung verfahrensrechtlicher Mindestpositionen auch zu ihren eigenen Gunsten. Das Schweigerecht eines Beschuldigten als Ausformung des nemo-tenetur-Prinzips stellt eines der wichtigsten verfassungs- und verfahrensrechtlichen Garantien dar. Niemand darf gezwungen werden, sich zum Beweismittel gegen sich selbst zu machen und zum bloßen Objekt staatlichen Handelns.

2. Materielles Sanktionsrisiko der juristischen Person

Strafbar machen im eigentlichen Sinn können sich nur natürliche Personen – nicht dagegen die jP. Sie ist nach deutschem Strafrecht nicht beschuldigungs-, bemaßregelungs- und bestrafungsfähig [6]. Jedoch kann auch die jP als Folge von strafbarem Verhalten vielfältige negative Konsequenzen zu tragen haben: Bei ihr zurechenbarem, gesetzeswidrigen Verhalten kommen Tätigkeitsbeschränkungen bis zur Auflösung in Betracht.[7] Ebenso kann die jP Adressatin einer Verfalls- oder Einziehungsanordnung werden mit der Folge,dass das Eigentum an den verfallenen bzw. eingezogenen Gegenständen auf den Staat übergeht. Nach § 73 Abs. 3 StGB ist der Verfall gegen einen tatunbeteiligten Dritten zulässig, wenn Täter oder Teilnehmer für den anderen gehandelt haben und dieser dadurch unmittelbar [8] „etwas“, d.h. irgendeinen Vermögensvorteil erlangt hat. Erfasst sind hierbei neben der offenen Stellvertretung auch die Konstellationen, in denen der Täter nur faktisch für den Dritten handelt [9]. Die Hauptanwendungsfälle werden gerade im Wirtschafts- und Steuerrecht gesehen, etwa wenn ein Steuerberater dem Wirtschaftsunternehmen durch Bilanzfälschung einen Steuer- oder Vermögensvorteil verschafft oder die durch eine umweltgefährdende illegale Abfallbeseitigung ersparten Deponiekosten als Vermögensvorteil einer GmbH zugute gekommen sind.[11] Auf Bösgläubigkeit kommt es nicht an, § 73 Abs. 3 StGB. Entstehende Härten können allenfalls über § 73c Abs. 1 StGB ausgeglichen werden, [12] etwa wenn der gutgläubige Dritte das Erlangte ohne Gegenleistung weitergegeben hat,[13] oder die Anordnung des Verfalls die Existenz eines Unternehmens gefährden würde.[14] Allerdings stellt nach Auffassung des BGH das Nichtmehrvorhandensein des Wertes noch keine unbillige Härte dar, sondern unterfällt nur dem Anwendungsbereich der Billigkeitsvorschrift gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB.[15] Nach § 73 Abs. 4 StGB kann der Verfall ferner in Gegenstände im Dritteigentum und täterfremde Vermögenswerte angeordnet werden, wenn der Dritte den Gegenstand entweder für die Tat oder aber sonst in Kenntnis der Tatumstände gewährt hat. Dies kann etwa bei Vorteilsnahme nach § 331 StGB für das zugewendete Geld der fall sein, wenn der Geber zivilrechtlich[17] Eigentümer der Belohnung geblieben ist, oder er es aus Furcht vor Ermittlungen vom Bestochenen wieder zurückerhalten hat. Erfasst werden sollen die Fälle, in denen der Dritte nicht tatbeteiligt, aber quasi-schuldhaft in die Tat verwickelt ist.[19] Sogar beim erweiterten Verfall nach § 73 d StGB [20] kann ein Gegenstand im Dritteigentum betroffen sein, § 73d Abs. 1 S. 2 StGB.[21] Ausgeschlossen ist der Verfall, soweit dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch erwachsen ist, dessen Erfüllung den Wert des aus der Tat Erlangten entziehen würde.[22] Allein auf die rechtliche Existenz des Drittanspruchs kommt es an,[23] und auf die Bestimmbarkeit eines Verletzten.[24] Für den von einer Verfallsanordnung bedrohten Dritten folgt hieraus im Regelfall keine Besserstellung: An die Stelle von Verfallsanordnung tritt die sogenannte Rückgewinnungshilfe [25] zugunsten mutmaßlich Geschädigter. Der Einziehung unterliegen alle Gegenstände, die durch eine vorsätzliche Straftat hervorgebracht oder zu deren Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind. Das Erlöschen der (Eigentums-)rechte Dritter kann angeordnet werden, wenn weitere Taten oder eine Gefährdung der Allgemeinheit zu besorgen sind,[26] oder dem Dritten eine Entschädigung nicht zu gewähren ist- wenn dieser nämlich wenigstens leichtfertig dazu beigetragen hat, dass die einzuziehende Sache oder das einzuziehende Recht Tatmittel waren.[27] Eine besondere Zurechnungsnorm für die Einziehung zu Lasten juristischer Personen und Personenvereinigungen enthält § 75 StGB. Handlungen und Kenntnisse der dort genannten, als „Leitungsebene“ zu bezeichnenden Personen werden – etwa bei Beurteilung einer Vereitelungshandlung gem. § 74 c Abs. 1 StGB oder der Kenntnis gem. den §§ 74 a Nr. 2, 74 f Abs. 2 Nr. 2 StGB – der von ihnen vertretenen Organisationseinheit zugerechnet. Keineswegs ist das Risiko der juristischen Person bei Einziehung oder Verfall auf die Abschöpfung der durch eine rechtswidrige Tat gezogenen Vorteile beschränkt. Bei der Verfallsanordnung ist der Gesetzgeber hinsichtlich der Berechnung des erlangten, dem Verfall unterliegenden Vermögensvorteils im Jahr 1992 vom Netto- zum Bruttoprinzip übergegangen.[28] Das Erlangte ist ohne Abzug der damit im Zusammenhang stehenden Aufwendungen (wie beispielsweise Beschaffungskosten, Reiseaufwendungen, Tatgelder etc.) herauszugeben [29] bzw. Wertersatz zu leisten. Gleiches gilt für die Einziehungsanordnung, bei der regelmäßig redlich erworbenes und nicht aus einer Straftat erlangtes Eigentum entzogen wird.[31] Um bloße, nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung zu entziehende Vermögenswerte geht es nicht mehr, die Verfalls- und Einziehungsvorschriften tragen mittlerweile (wieder) [32] Straf- bzw. strafähnlichen Charakter. Verfallsanordnungen in Höhe von mehreren Hunderttausend DM bzw. € gegen Unternehmen stellen keine Ausnahme mehr dar.[34] Wer seine Ferienwohnung zu Bestechungszwecken unentgeltlich Dritten überlässt, riskiert den Verlust seines Eigentums.[35] Transportiert eine Aktiengesellschaft Falschgeld mit ihrem Hubschrauber, folgt hieraus die Einziehung des Fluggerätes.[36] Bei Verfall oder Einziehung noch zögerliche Tatgerichte werden von den Rechtsmittelinstanzen korrigiert.[37] Eine Einstellung des Verfahrens wegen geringer Schuld nach § 153 StPO hindert die selbstständige Einziehungsanordnung nicht, [38] andererseits stellt die Anordnung des erweiterten Verfalls nach Auffassung des BGH für den Täter auch nach Einführung des Bruttoprinzips in der Regel keinen Strafmilderungsgrund dar.[39] Wurde in der Vergangenheit ein stiefmütterliches Dasein der Verfalls- und Einziehungsvorschriften beklagt,[40] so hat sich mittlerweile dieses Blatt gewendet. Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktionen in Firmen, Banken und Verbänden stellen nichts Ungewöhnliches mehr dar.[41] Zu erkennen ist eine deutliche Steigerung der eingeleiteten Ermittlungsverfahren mit wirtschaftsstrafrechtlichem Hintergrund: So hat sich z.B. in Nordrhein-Westfalen die Anzahl der Verfahren in dem Zeitraum von 1996 bis 1999 von 387 in 1996 auf 1.334 in 1999 fast vervierfacht.[42] Einziehungs- und Verfallsanordnungen sind sprunghaft gestiegen.[43] Bei den Verfolgungsbehörden sind Staatsanwälte und Polizeibeamte als „Finanzermittler“ geschult. Ihre Aufgabe ist die „Ermittlung aller wesentlichen Umstände, die bedeutend sind, um Verfalls- und Einziehungsanordnungen zur Vermögensabschöpfung oder steuerrechtliche Entscheidungen treffen zu können“.[45] Zukünftig ist weiter mit einem erheblichen Anstieg von Verfalls- und Einziehungsanordnungen[46] sowie der Sicherung der Rückgewinnungshilfe[47] zu rechnen.
Das Wirtschaftsunternehmen als juristische Person ist deshalb im Strafverfahren (ebenso bei der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten) nicht nur im Wortsinn „neben“-beteiligt. Ihr Risiko geht im Regelfall deutlich darüber hinaus, nur die durch eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit unrechtmäßig erlangten Vermögensvorteile wieder zu verlieren.[48]

3. Verfahrensrechtliche Stellung des Nebenbeteiligten

Nach § 431 Abs. 1 StPO ordnet das Gericht im Hauptverfahren die Beteiligung eines Dritten bei der geplanten Einziehung an, wenn glaubhaft erscheint, dass der Gegenstand „einem anderen als dem Angeschuldigten“ gehört oder zusteht (§ 431 Abs. 1 Zif. 1 StPO) oder „ein anderer“ an dem Gegenstand ein sonstiges Recht hat (§ 431 Abs. 1 Zif. 2 StPO), das im Falle einer Einziehung nach § 74c Abs. 2, S. 2, 3 StGB erlöschen könnte. § 442 Abs. 1 StPO bestimmt die entsprechende Anwendung aller Verfahrensvorschriften (§§ 430 bis 441 StPO) auch für den Verfallsbeteiligten.[49] Nach den §§ 442 Abs. 1, 433 Abs. 1 StPO haben damit Einziehungs- und Verfallsbeteiligte „von der Eröffnung des Hauptverfahrens an …. – die Befugnisse, die einem Angeklagten zustehen …“ Sie haben Anspruch auf rechtliches Gehör, können Anträge stellen, Zeugen laden (§ 230 StPO) und Rechtsbehelfe einlegen. Bereits im Vorverfahren stehen den sog. Nebeninteressenten oder Beteiligungsinteressenten die Anhörungs- bzw. Vernehmungsrechte nach § 432 Abs. 1 oder Abs. 2 StPO zu, ferner die Vertretungsrechte nach § 434 Abs. 1 StPO. Die Strafprozessordnung schränkt dabei an keiner Stelle die Verfahrensrechte der juristischen gegenüber der natürlichen Person als Nebenbeteiligte ein. Sogar ausschließlich auf die jP zugeschnitten ist die Vorschrift des § 431 Abs. 3 StPO.
Für das Ermittlungsverfahren sieht § 432 Abs. 1 StPO zunächst nur eine formlose Anhörung des Nebenbeteiligten vor. Erklärt dieser, Einwendungen gegen die Einziehung oder die ihr gleichgestellten Maßnahmen erheben zu wollen, und erscheint sein Recht am Gegenstand glaubhaft, so ändert sich gem. § 432 Abs. 2 StPO sein Status: Es gelten die Vorschriften über die Vernehmung des Beschuldigten[52] entsprechend, soweit eine Verfahrensbeteiligung des Dritten in Betracht kommt.[53] Dies gilt auch für die materiellrechtlichen Voraussetzungen der Zwangsmaßnahme. Fehlt es an der rechtswidrigen Tat, kommt keine Verfallsanordnung in Betracht. Die Einwendung des Nebenbeteiligten, es seien die materiellrechtlichen Voraussetzungen der der Zwangsanordnung zugrunde liegenden Tat nicht gegeben, betrifft auch seine Drittrechte.
Ab Eröffnung des Hauptverfahrens ordnet das Gesetz die grundsätzliche Gleichstellung von Angeklagtem und Nebenbeteiligtem an, wie sich aus § 433 Abs. 1 und dem Gegenschluss zu § 431 Abs. 2 StPO ergibt.

4. Das Schweigerecht des Nebenbeteiligten

Der von einer geplanten Zwangsmaßnahme bedrohte Nebenbeteiligte hat möglicherweise kein Interesse an eigener Äußerung oder seiner Vernehmung. Das kann in einem frühen Verfahrensstadium der Fall sein, wenn er selbst noch nicht über die Informationen und Tatsachenkenntnis verfügt, um eine für ihn optimale Stellungnahme zur Wahrung seiner Rechte abgeben zu können. Dann läuft er Gefahr, durch seine Aussage seine Rechtsposition oder die des von ihm vertretenen Unternehmens zu beeinträchtigen.
Der Gesetzeswortlaut der §§ 442, 432 Abs. 2 StPO billigt dem der Maßnahme widersprechenden Nebenbeteiligten deshalb bereits im Ermittlungsverfahren bei seiner Vernehmung die Rechte des Beschuldigten zu.[54] Ab Eröffnung des Hauptverfahrens ordnet § 433 Abs. 1 StPO ohnehin die grundsätzliche Gleichstellung des Nebenbeteiligten mit dem – schweigeberechtigten – Angeklagten an, wiederum ohne jede Differenzierung zwischen der nebenbeteiligten natürlichen oder juristischen Person.

4.1 Bedeutung des Schweigerechtes

Das Schweigerecht des Beschuldigten bzw. Angeklagten stellt eines der stärksten Rechte im Strafverfahren dar, das sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Rechtsstaatsprinzip mit dem Recht auf einen fairen Strafprozess ableitet und mit Verfassungsrang ausgestattet [55] ist.
Es ist in der StPO nicht ausdrücklich kodifiziert,[56] wird jedoch in verschiedenen Regelungen zwingend vorausgesetzt, etwa in den §§ 136 a, 163 a Abs. 3, 4, § 136 Abs. 1 S. 2 StPO.[57] Der Beschuldigte braucht nicht Zeuge gegen sich selbst zu sein.[58] Seine Aussagefreiheit leitet sich nach Auffassung des BVerfG in erster Linie aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ab, das als unbenanntes Freiheitsrecht die speziellen Freiheitsrechte ergänzt, die bestimmte Aspekte der Persönlichkeit schützen und die Aufgabe haben, als oberstes Konstitutionsprinzip der Menschenwürde die Grundbedingungen für die Persönlichkeitsentfaltung zu sichern, die von den speziellen Freiheitsgarantien nicht erfasst sind.[59] Der Einzelne soll vom Staat grundsätzlich nicht in eine Konfliktlage gebracht werden, in der er sich selbst strafbarer Handlungen oder ähnlicher Verfehlungen bezichtigen muss oder in Versuchung gerät, durch Falschaussagen ein neues Delikt zu begehen, oder aber wegen seines Schweigens Nachteile etwa in Form von Zwangsmitteln zur Herbeiführung aktiver Mitarbeit zu erleiden.[60] Nach anderer Auffassung leitet sich die Aussagefreiheit auch unmittelbar aus dem Rechtstaatsprinzip ab.[61] Eine irgendwie geartete Selbstbelastungsgefahr muss der Beschuldigte nicht glaubhaft machen, sie wird kraft seiner förmlichen Position unwiderleglich vermutet. Er kann auch schweigen, etwa weil er sich hierdurch Vorteile außerhalb des Strafverfahrens verspricht oder die Tatbeteiligung anderer nicht offenbaren möchte.[62] In der strafprozessualen Praxis spielt dieses Schweigerecht als wichtigste Ausformung des „nemo-tenetur-Prinzips“[63] eine zentrale Rolle. Strafverteidigung besteht oftmals darin, den Betroffenen davon abzuhalten, subjektiv gutgemeinte und gleichzeitig objektiv schädliche Stellungnahmen abzugeben. Entlastende Darstellungen im Ermittlungsverfahren verhallen oft ungehört- oder werden allenfalls zum Anlass weitergehender Ermittlungen zur Untermauerung des Anfangsverdachtes genommen.[64] Vorschnelle Einlassungen führen nicht selten zu einem für die Verteidigungsposition irreparablen Schaden.[65] Die Richtigkeit dieses Grundsatzes lässt sich ohne weiteres auch für die Position des Nebenbeteiligten bejahen. Ihm wird zunächst oftmals die notwendige Informationsbasis für sachgerechte Darstellungen fehlen. Berücksichtigt man darüber hinaus, dass die materiellen Verfalls- und Einziehungsvorschriften für den Nebenbeteiligten auch auf seine Kenntnis (von den Tatumständen) oder auf seine Sorgfalt abstellen,[66] ist dieser generell gut beraten, wenn er sich im Verfahren allenfalls äußert, sobald er nach Akteneinsicht [67] über eine genügend sichere Informationsbasis verfügt, ihm ferner die rechtliche Tragweite seiner Erklärungen in Bezug auf sein Eigentum oder seine vermögensrechtliche Position bewusst ist und er Rechtsrat einholen konnte. Richtig kann in vielen Konstellationen auch sein, bis zum Verfahrensende von eigenen Äußerungen vollständig abzusehen.

4. 2 Das Schweigerecht der juristischen Person

Die gesetzliche Regelung ist dem Wortlaut nach unmissverständlich: Die §§ 442 Abs. 1, 432 Abs. 2 StPO ordnen unter den dort genannten Voraussetzungen die entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Beschuldigtenvernehmung für den Nebenbeteiligten schlechthin und ohne Ausnahme an. Es wird nicht zwischen strafrechtsfähigen natürlichen Personen und strafrechtsunfähigen juristischen Personen unterschieden. Gleiches gilt für das Hauptverfahren, §§ 433 Abs. 1, 431 Abs. 3, 442 StPO.
Das ist konsequent – geht doch das Gesetz ebenso selbstverständlich davon aus, dass sich die strafrechtlichen Nebenfolgen von Einziehung und Verfall gegen strafrechtsunfähige juristische Personen richten können. Gerade Fälle von Wirtschaftskriminalität betreffen in der Regel Kapitalgesellschaften und werden als wichtigstes Anwendungsgebiet[68] des Drittverfalls angesehen.[69] Eine Ungleichbehandlung erscheint jedenfalls bei kleinen, dem Einzelunternehmen nahestehenden juristischen Personen quasi auf den ersten Blick nicht zu rechtfertigen: Dem Einzelunternehmer, der als Nebenbeteiligter im Ermittlungsverfahren die drohende Einziehung seines Firmen-Pkw als Tatwerkzeug eines Dritten zu verhindern sucht, wird im Fall seiner Vernehmung nach § 432 Abs. 2 StPO durch den Verweis auf die Rechte des Beschuldigten vollständige Aussagefreiheit zugebilligt. Er kann schweigen, und dadurch den Ermittlern vielleicht keine Anhaltspunkte für die spätere Annahme einer Leichtfertigkeit im Sinne des § 74 f Abs. 2 Nr. 1 StGB liefern. Ist er dagegen in der selben Konstellation als alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer „seiner“ GmbH betroffen, so wäre er bei Ablehnung des Schweigerechtes der jP verpflichtet, im Rahmen seiner Zeugenvernehmung über Umstände wahrheitsgemäß und vollständig zu [70] , die möglicherweise erst seine persönliche Kenntnis der Tatumstände im Sinne des § 73 Abs. 4 StGB begründen und damit die Einziehung zu Lasten der GmbH ermöglichen. Ein Vergleich dieser Interessenlage und der verfahrensrechtlichen und der materiellen Risikoposition spricht daher dafür, eine Ungleichbehandlung abzulehnen und der juristischen Person als Nebenbeteiligte auch in Bezug auf die Aussagefreiheit dieselben Verfahrensrechte zuzubilligen wie der natürlichen Person.[71] Die Strafprozessordnung kennt keine Spezialvorschrift für oder gegen ein Schweigerecht der juristischen Person. Fachgerichtliche nationale Rechtsprechung fehlt. Im Bereich des Kartellverwaltungsverfahrens scheint der Gesetzgeber das Schweigerecht der juristischen Person bei Selbstbelastungsgefahr im Verwaltungsverfahren durchaus anzuerkennen, besieht man sich die Vorschrift des § 59 Abs. 5 i.V.m. Abs. 2, 1 GWB.[72] Die herrschende, allerdings nicht unbestrittene Meinung verneint jedoch die Anwendung des § 59 Abs. 5 auf berichten juristische Personen und damit das Schweigerecht. Die Kommentierungen verzichten allerdings auf eine eingehende Auseinandersetzung mit der grundsätzlichen Problematik.[73]

4.2.1. Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes

Bereits in 1975 hatte das BVerfG für das Ordnungswidrigkeitenverfahren – allerdings nur im Rahmen einer Nichtannahmeentscheidung und obiter dictum – der juristischen Person als Betroffene ein Aussageverweigerungsrecht zugestanden, das von ihrem vertretungsberechtigten Organ ausgeübt werden könne.[74] Es fehlt allerdings in der Entscheidung nicht nur jede Begründung für diese Rechtsauffassung und jede Auseinandersetzung mit Rechtsprechung und Literatur. Vielmehr lehnt das BVerfG nach der zunächst begründungslos apodiktischen Feststellung eines Auskunftsverweigerungsrechts der juristischen Person im folgenden ein direkt aus der Verfassung gebotenens Auskunftsverweigerungsrecht eines ehemaligen Vorstandsmitglieds mit der Erwägung ab, das Interesse der Allgemeinheit an einer umfassenden Sachaufklärung in Bußgeldverfahren stehe über möglichen wirtschaftlichen Nachteilen der Aktiengesellschaft, weil als zu offenbarende Tatsachen „nur Unrechtshandlungen der Gesellschaft bzw. ihrer Organe in Betracht kommen.“ Die Entscheidung wirft daher die grundsätzliche Frage nach einem Schweigerecht der juristischen Person erst auf und beantwortet sie nur vordergründig. [75] Sie ist jedenfalls in der Praxis weitgehend unbeachtet76] geblieben.
Im Jahr 1997 hat sich der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts erneut mit der Aussagefreiheit der juristischen Person befasst und ein unmittelbar aus der Verfassung folgendes Schweigerecht ihrer Organe zu ihren Gunsten generell – auch unter Berücksichtigung einer zu besorgenden Selbstbezichtigung bei Sanktionsgefahr – abgelehnt.[77] Im dort entschiedenen Fall wurde ein privater Rundfunkveranstalter von der zuständigen Landesmedienanstalt unter Androhung von Zwangsgeld zur Vorlage von Sendemitschnitten über eine verbotene Demonstration aufgefordert. Das entsprechende Landesmediengesetz sah eine Auskunftspflicht vor.[78] Das BVerfG [79] hat das Verbot des Zwangs zur Selbstbezichtigung als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes angesehen, geschützt durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Nach Art. 19 Abs. 3 GG sei ausgeschlossen, diesen Schutz auch juristischen Personen zugute kommen zu lassen. Der Zwiespalt, in den ein Zwang zur Selbstbezichtigung den einzelnen führe, müsse „vor allem“ aus Gründen der Menschenwürde vermieden werden.[80] Dieser Bezug schließe aber eine Erstreckung auf juristische Personen aus. Eine Lage, wie sie der Zwang zur Selbstbezichtigung für natürliche Personen heraufbeschwöre, könne bei ihnen nicht eintreten. Die juristischen Personen bildeten ihren Willen nur durch Organe und unterlägen im Hinblick auf Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten nur einer eingeschränkten Verantwortlichkeit. Begehe ein Organwalter unter Verletzung von Pflichten der juristischen Person eine solche Tat, so sei allein er der Täter. Gegen die juristische Person könne lediglich gem. § 30 OWiG eine Geldbuße festgesetzt werden, die aber weder einen Schuldvorwurf noch eine ethische Missbilligung enthalte, sondern nur einen Ausgleich für die aus der Tat gezogenen Vorteile schaffen solle.[81] Deshalb ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ein Schweigerecht der juristischen Person selbst dann nicht anzuerkennen, wenn sich ihre Rechtsposition durch wahrheitsgemäße Auskunft verschlechtert.
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur ein mögliches, nicht kodifiziertes Schweigerecht bei spezialgesetzlicher Auskunftspflicht nach Landesmediengesetz zu beurteilen hatte und nicht etwa die gesetzlichen Regelungen der Nebenbeteiligung im Strafprozess. Dem Urteil kann auch keine Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG zukommen.[82] Diese ist beschränkt durch den der Entscheidung zu Grunde liegenden Streitgegenstand, der begrenzt ist auf die zur Überprüfung vorgelegte Gesetzesvorschrift.[83]

4.2.2. Auffassungen des EuGH und des EuG

Im Gegensatz zur vorstehenden Rechtsauffassung des BVerfG billigt der Europäische Gerichtshof in der sogenannten Orkem-Entscheidung der juristischen Person ein partielles Schweigerecht bei Selbstbelastungsgefahr zu.[84] Die EG – Kommission hatte in einem Voruntersuchungsverfahren wegen Verletzung von Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag – Verdacht verbotener Kartellabsprache – unter Zwangsgeldandrohung Auskünfte von einem beteiligten Wirtschaftsunternehmen angefordert. Hiergegen führte das betroffene Unternehmen Beschwerde mit der Argumentation, die Kommission habe das Unternehmen mit dem Auskunftsverlangen zur Selbstbelastung gezwungen. Der Europäische Gerichtshof stellte hierzu fest, dass die Mitgliedsstaaten ein generelles Recht zur Verweigerung der (so in der Deutschen Übersetzung wörtlich) „Zeugenaussage gegen sich selbst“ ausdrücklich nur natürlichen Personen zugestehen.[85] Dagegen fehle ein gemeinsamer Grundsatz im Recht sämtlicher Mitgliedstaaten, nach dem auch juristische Personen generell zur Verweigerung der Zeugenaussage gegen sich selbst berechtigt seien. Es könnten sich aber auch Unternehmen ohne weiteres auf den Schutzbereich von Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) berufen[86] . Zwar ergebe sich zunächst weder aus dem Wortlaut von Art. 6 EMRK noch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte hierzu,[87] dass damit ein unmittelbares Recht anerkannt werde, nicht gegen sich selbst als Zeuge aussagen zu müssen. Aus dem Erfordernis der Wahrung der Rechte der Verteidigung als fundamentalem Grundsatz der Gemeinschaftsrechtsordnung – die der EuGH ausdrücklich unterschiedslos für Privatpersonen und Unternehmen anerkennt – könne aber sehr wohl zumindest ein partielles Schweigerecht für juristische Personen folgen.
Konkret bedeute das, dass die Europäische Kommission die einzelnen Unternehmen zwar im Rahmen von Voruntersuchungen wegen verbotener Wettbewerbsabsprachen verpflichten könne, Auskünfte über Tatsachen zu erteilen und Schriftstücke zu ermitteln, auch wenn diese Auskünfte und Unterlagen belastenden Charakter für das Unternehmen haben können. Dem Unternehmen (auch als juristischer Person) dürften aber nicht Verpflichtungen auferlegt werden, der Kommission Auskünfte zu erteilen, durch die es das Vorliegen einer Zuwiderhandlung eingestehen müsste, für die die Kommission den Beweis zu erbringen habe.[88] Auf diese Fragen dürfe die Klägerin die Antwort verweigern.[89] Bereits in einer zeitlich nur wenig früher ergangenen Entscheidung [90] des EuGH wird dem Recht der Verteidigung ein fundamentaler Charakter nicht nur im Verwaltungsverfahren mit Sanktionsgefahr, sondern auch in Voruntersuchungsverfahren zugebilligt – und zwar ebenfalls ausdrücklich zu Gunsten der natürlichen wie der juristischen Person. Der EuGH spricht wörtlich von notwendigen Verteidigungsrechten betroffener Unternehmen (Leitsatz Zif. 3 letzter Absatz).[91] Die Schutzwürdigkeit der juristischen Person wird mit derjenigen einer natürlichen Person auf eine Stufe gestellt.
Der EuGH erkennt seit der Orkem-Entscheidung deshalb ein partielles Schweigerecht juristischer Personen an, soweit die wahrheitsgemäße Beantwortung von Auskunftsersuchen betreffend innere Tatsachen (der Willensbildung durch ihre Organe) eine Selbstbezichtigung nach sich ziehen würde. Andererseits lehnte der EuGH es im Entscheidungszeitpunkt (1989) noch ab – dies ausdrücklich jedoch angesichts des damaligen Standes der Rechtsprechung des EGMR – direkt aus der Vorschrift des Art. 6 EMRK ein umfassendes Schweigerecht bei Selbstbelastungsgefahr abzuleiten[92] , das bereits seiner damaligen Auffassung nach dann auch für juristische Personen hätte Geltung haben müssen.
Das Europäische Gericht erster Instanz (EuG) bejaht ebenfalls im Kartellverfahren ein partielles Schweigerecht der Unternehmen.[93] Die Kommission habe auch bei zulässigen Auskunftsverlangen die Verteidigungsrechte des Unternehmens zu wahren und dürfe ihm nicht die Verpflichtung auferlegen, Antworten zu erteilen, durch die es das Vorliegen einer Zuwiderhandlung eingestehen müsste.[94] Die Grundrechte der EMRK gehörten zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, deren Wahrung der Gemeinschaftsrichter zu sichern habe.[95] Die Anerkennung eines absoluten und umfassenden Auskunftsverweigerungsrechts würde zwar zu einer ungerechtfertigten Behinderung der Kommission bei der Erfüllung der ihr durch EG Vertrag übertragenen Aufgabe führen und sei daher abzulehnen.[96] Unzulässig seien aber Fragen an die Unternehmen, die diese dazu zwingen würden, ihre Beteiligung an einer rechtswidrigen, gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln verstoßenden Vereinbarung einzugestehen.[97] Die Europäische Kommission ihrerseits erkennt ausdrücklich die in der Orkem-Entscheidung des EuGH herausgearbeiteten Grundsätze eines partiellen Schweigerechtes für die juristische Person und darüber hinaus diverse weitergehende Verteidigungsrechte von Unternehmen an[98].

4.2.3. Auffassung des EGMR und der Menschenrechtskommission

Die Rechtsauffassungen der Europäische Kommission für Menschenrechte sowie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gehen noch erheblich weiter. Sowohl Menschenrechtskommission als auch EGMR wenden zunächst in zwei – zeitlich erst nach der vorgenannten Orkem-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes ergangenen – Urteilen und dazu vorangegangenen Kommissions-Abschlussberichten (Fälle Funke und Bendenoun)[99] die sich aus Artikel 6 EMRK ergebenden Garantien in einem dem Strafverfahren vorangehenden Untersuchungsverfahren an. Die Vorschrift greife nicht erst dort ein, wo die Aussagen beziehungsweise die Beibringung von Unterlagen bereits speziell strafrechtlichen oder strafähnlichen Zwecken dienten.[100] Im Fall Bendenoun begründet der EGMR die Anwendbarkeit von Art. 6 EMRK dabei nicht nur mit der Höhe des zu Lasten des Beschwerdeführers Bendenoun persönlich festgesetzten Strafzuschlages, sondern ausdrücklich auch mit der Höhe des Zuschlages zu Lasten seiner Firma. Im Fall Funke wurde gegen den Beschwerdeführer zunächst von der nationalen französischen Behörde Strafzoll verhängt, da dieser sich geweigert hatte, (ihn selbst belastende) Unterlagen vorzulegen. Der EGMR beanstandete das als unzulässig und bejahte in dieser Entscheidung ausdrücklich einen Verstoß gegen Art. 6 EMRK. Er leitet direkt aus dieser Vorschrift ein Schweigerecht ab.[102] In einer weiteren, jungen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte [103] bezeichnet der EGMR das Schweigerecht und das Recht, auch ansonsten nicht zur eigenen Beschuldigung beizutragen, ausdrücklich als ein Kernstück des von Art. 6 EMRK garantierten Grundsatzes des fairen Verfahrens.[104] Festzuhalten ist daher, dass sowohl Menschenrechtskommission als auch Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte ein unmittelbar aus Art. 6 EMRK folgendes Auskunftsverweigerungsrecht anerkennen, das bei Selbstbelastungsgefahr auch gesetzlich angeordnete Auskunftspflichten außer Kraft setzen kann. Darüber hinaus schließt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Funke die noch vom Europäischen Gerichtshof in der vorangegangenen Orkem-Entscheidung festgestellte Lücke bei der Auslegung von Art. 6 EMRK [105] und stellt ausdrücklich fest, dass das Schweigerecht unmittelbar aus dieser Vorschrift folgt.[106] Sowohl EuGH als auch EGMR wenden ferner die in Art. 6 EMRK enthaltenen Garantien – die nach Auffassung des EGMR auch das Schweigerecht in straf- und strafähnlichen Verfahren vor Gericht und in vorgelagerten Untersuchungsverfahren umfasst – auch auf juristische Personen an.

4.2.4 Materielle Betrachtung und eigene Auffassung

Es ist geboten, der juristischen Person als Nebenbeteiligte im Strafverfahren ein Schweigerecht zuzubilligen.
Zunächst gewähren die §§ 433 Abs. 1, 432 Abs. 2, 442 Abs. 1 StPO ihrem klaren Wortlaut nach jedem Nebenbeteiligten unterschiedslos (soweit er Einwendungen zu erheben beabsichtigt) die Schutzrechte des Beschuldigten, eben auch das Schweigerecht. Art. 19 Abs. 3 GG selbst schließt die Zuerkennung eines Schweigerechts nicht aus. Die Vorschrift erhält ein Gebot zur Anwendung der Grundrechte, und stellt keine Verbotsnorm dar. In funktionaler Hinsicht ist auf den in den letzten Jahren zunehmenden Einfluss und die Verbindlichkeit der Menschenrechtskonvention, der Rechtsprechung des EuGH sowie des EGMR hinzuweisen. Seit der grundlegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus 1987[108] ist anerkannt, dass Menschenrechtskonvention und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EGMR bei der Auslegung der nationalen Gesetze – ausdrücklich ebenfalls zukünftiger Gesetze und auch der StPO – zwingend berücksichtigt werden müssen.[109] § 1 Abs. 2 EuGH-Gesetz[110] sieht mittlerweile für jedes nationale Gericht das Recht, für den funktionell letztinstanzlichen Spruchkörper weitergehend die Pflicht vor, dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, die sich auf Gültigkeit und Auslegung der Rahmenbeschlüsse sowie die Auslegung der Übereinkommen nach dem sechsten Titel des EU-Vertrages und der zugehörigen Durchführungsmaßnahmen beziehen, wenn es eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils oder Beschlusses für erforderlich hält. Auch das BVerfG sieht die Vorlage an den EuGH in europarechtlichen Zweifelsfragen mittlerweile als zwingend an, ansonsten werde gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verstossen. Der Begriff des Europäischen Rechts umfasse dabei nicht nur die materiellen Rechtsnormen, sondern auch die Grundrechtsverbürgungen, die vom EuGH aus den mitgliedstaatlichen Verfassungen und der EMRK entwickelt worden seien.[113] Das oben dargestellte Gebot der konventionskonformen Auslegung der StPO und die fehlende eigene Verwerfungskompetenz der nationalen Gerichte sprechen deshalb ebenfalls für eine Anerkennung der oben dargestellten, vom EuGH, dem EuG sowie dem EGMR bejahten Grundsätze eines Schweigerechtes zu Gunsten der juristischen Person.
Die Rechte der EMRK müssen auch zugunsten der juristischen Person gelten, soweit sie ihr wesensmäßig zugeordnet werden können. [114] Schließlich anerkennt die EMRK ausweislich Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls die Eigentumsgarantie ausdrücklich auch zu Gunsten von juristischen Personen.[115] Gerade die verfahrensrechtlichen Regelungen der Nebenbeteiligung im Strafprozess dienen ausschließlich dieser Verteidigung von Eigentums- und Vermögenspositionen.
Auch in materiellrechtlicher Hinsicht kann der Argumentation des Bundesverfassungsgerichtes [116] – das im übrigen in der genannten Entscheidung auf jede Auseinandersetzung mit seinem eigenen Nichtannahmebeschluss aus 1975,[117] sondern auch mit Art. 6 EMRK, den Rechtsauffassungen des EuGH und des EGMR verzichtet – nicht gefolgt werden.
Wenn der Zwang zur Selbstbezichtigung zu einem Zwiespalt führe, der “ vor allem “ aus Gründen der Menschenwürde vermieden werden soll [118], scheint die Entscheidung jedenfalls selbst zu konstatieren, dass hierin nicht der einzige Grund für eine Bejahung des nemo-tenetur-Prinzips liegen kann. Schließlich hatte das Bundesverfassungsgericht selbst bereits im Jahr 1981 in der Gemeinschuldner-Entscheidung[119] festgestellt, dass sich der Schutz gegen Selbstbezichtigungen nicht auf strafrechtliche und vergleichbare Verfahren beschränke, sondern beispielsweise auch für den Zivilprozess und die dortigen Prozessparteien (bei der es sich um natürliche wie auch juristische Personen handeln kann) gelte. Demgemäss bestehe gerade im Wirtschaftsverwaltungsrecht[120] in den Fällen, in denen eine Auskunftspflicht außerhalb des Strafverfahrens und ausnahmsweise unter Verdrängung des nemo-tenetur-Grundsatzes anzuerkennen sei, aus verfassungsrechtlichen Gründen ein Bedürfnis dafür, dass die erzwungenen Auskünfte bei Selbstbelastungsgefahr nicht an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet und von diesen verwertet werden dürften.[121] Unbestreitbar ist aber, dass die juristische Person gerade im Wirtschaftsverwaltungsrecht als die mittlerweile vorherrschende Rechtsform angesehen werden muss[122] . Verwehrt man ihr das Schweigerecht, so würde diesem Schutzbedürfnis weitgehend nicht Genüge getan.
Das Prinzip des Schweigerechtes bei Selbstbelastungsgefahr gilt im Übrigen unabhängig von der Zuerkennung der nur einer natürlichen Person zustehenden Menschenwürde.[123] Jeder Betroffene eines Verfahrens mit straf- oder strafähnlichem Charakter hat als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips das Recht, durch Geltendmachung zulässiger Verfahrensrechte eine materiellrechtlich unrichtige, aber für ihn günstige Entscheidung einer Behörde oder eines Gerichtes herbeizuführen, auch zur Verteidigung der eigenen Eigentums- und Vermögensposition. Das Schweigerecht ist als Teil dieses Grundprinzips anzusehen, und nicht allein aus der Menschenwürde abzuleiten[124] Ferner kann dem vom Bundesverfassungsgericht herangezogenen Argument einer fehlenden ethischen Missbilligung zu Lasten einer juristische Person keine allein ausschlaggebende Rolle mehr zukommen. Es mag den Beschuldigten geben, dem es allein um den Nachweis seiner Unschuld und die Vermeidung des Strafmakels selbst geht. In erster Linie sucht jedoch jeder Betroffene die konkreten materiellen und sozialen Folgen des Strafurteils zu vermeiden oder zu minimieren. Die Geldstrafe als Vermögenseinbuße soll verhindert werden oder möglichst gering ausfallen. Die Tagessatzanzahl wird bekämpft, auch damit nicht bei einer Eintragung im Bundeszentralregister[125] spätere Nachteile entstehen können.[126] Die Geldstrafe aus beruflicher Veranlassung schmerzt den im Umweltbereich tätigen Unternehmer nicht wegen der ihr innewohnenden sozialethischen Missbilligung, sondern deshalb, weil sie ihn wirtschaftlich hart treffen kann, zudem noch ins Gewerbezentralregister eingetragen wird und ihn bei späteren Auftragsausschreibungen blockieren kann.[128] Andererseits wird auch mancher als ungerechtfertigt empfundene Strafbefehl akzeptiert, nur um der „Verfahrensstrafe“ der öffentlichen Hauptverhandlung zu entgehen.
Der Strafjustiz geht es ebenfalls nicht mehr in jedem Einzelfall um die Durchsetzung des Legalitätsprinzips und Schaffung materieller Gerechtigkeit durch Strafurteil. Das beweist schon die gesetzliche Ausweitung [129] der §§ 153 ff. StPO in jüngerer Zeit und deren extensive Anwendung in der Praxis.[130] Im Steuerstrafrecht gilt das Hauptaugenmerk im Durchschnittsfall dem steuerlichen Mehrergebnis, nicht der Kriminalstrafe.[131] Schließlich missbilligt die Gesellschaft Fehlverhalten natürlicher Personen ethisch nicht mehr so wie früher. Der kriminell gewordene Baulöwe wird nach Haftverbüßung zum Signieren seiner Memoiren eingeladen und hält gut dotierte Vorträge. Die Filmschauspielerin wird nach ihrer Haft wegen Totschlags an ihrem Liebhaber wieder Talkshowgast. Der vorbestrafte Parteipolitiker kann während und nach juristischer Erledigung seiner Strafverfahren weiter für seine Partei wirken.[132] Dagegen wird gesellschaftlich mittlerweile auch das kollektive Verhalten eines Wirtschaftsunternehmens insgesamt kritisiert, etwa bei Bekanntwerden von Korruptionssystemen in Konzernen oder planmäßiger Hilfeleistung von Banken bei Verschleierung von Kapitaleinkünften durch Auslandsüberweisungen. Man kann deshalb feststellen, dass die sozialethische Vorwerfbarkeit des Handelns natürlicher Personen als Merkmal von Kriminalstrafe an Bedeutung verloren hat und insbesondere gegenüber den wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Strafübels deutlich in den Hintergrund getreten ist. [133] Bestimmen aber hauptsächlich diese Folgen – wie bei der Verfalls- und Einziehungsanordnung für den Nebenbeteiligten ausschließlich – die Rechtswirklichkeit, ist die Zurücksetzung der juristischen Person hinsichtlich ihrer Verfahrensrechte erst recht unzulässig.
Aus den genannten Gründen folgt, dass bei der Nebenbeteiligung im Strafverfahren gemäß den §§ 430 ff. StPO ein Schweigerecht auch zu Gunsten juristischer Personen anzuerkennen ist.

4.3 Der ausübungsberechtigte Personenkreis

Kein Zweifel kann daran bestehen, dass die nach Gesetz oder Satzung vertretungsberechtigten Organe einer juristischen Person zur Ausübung des Schweigerechtes berechtigt sein müssen.
Jedoch werden in großen Unternehmen Entscheidungen bei weitem nicht nur von den vertretungsberechtigten Organen getroffen. Würde man etwa bei einem Energiekonzern das Schweigerecht nur den Vorstandsmitgliedern selbst zuerkennen, so würde die damit gewünschte Schutzfunktion oftmals leer laufen. Andererseits erscheint ausgeschlossen, jeden einzelnen Unternehmensmitarbeiter als schweigeberechtigt anzusehen. Zunächst würde hierdurch der in § 55 StPO enthaltenen Wertung des Gesetzgebers im Ergebnis zuwidergehandelt. Die StPO kennt weder ein Zeugnis-, noch ein Auskunftsverweigerungsrecht eines Firmenmitarbeiters, wenn er in der Gefahr steht, einen anderen Mitarbeiter zu belasten.[134] Aus dem argumentum a majore ad minus ist folglich auch ausgeschlossen, ein solches Schweigerecht aufgrund bloßer Nebenbeteiligung seiner Arbeitgeberin anzuerkennen. Die Folge wäre zudem eine unverhältnismäßige Blockade von Zeugenvernehmungen in Firmen.
Es bietet sich bei der Festlegung des schweigeberechtigten Personenkreises jedoch eine Anknüpfung an die materiellrechtlichen Zurechnungsnormen an. Bei Einziehung oder Verfall findet eine Verhaltenszurechnung über die Vorschriften des § 73 Abs. 3 StGB oder § 75 StGB statt. § 73 Abs. 3 StGB scheidet für eine entsprechende Anwendung von vornherein aus. Von dieser Zurechnungsnorm kann auch der unternehmensfremde Dritten mit einbezogen werden, dem sicherlich von vorneherein nicht die Ausübung eines Schweigerechtes zugunsten einer ihm fremden juristischen Person zustehen kann.
Dagegen kann auf § 75 StGB zurückgegriffen werden. Nach dieser, erst vor wenigen Monaten im Anwendungsbereich nochmals [135] deutlich erweiterten [136] Vorschrift ist nicht nur das Handeln der gesetzlichen Vertreter und Organe und deren Mitglieder der juristischen Person zurechenbar. Eine solche Zurechnung findet auch statt, wenn „ein Generalbevollmächtigter oder in leitender Stellung als Prokurist oder Handlungsbevollmächtigter“ gehandelt hat, § 75 S. 1 Nr. 4 StGB, oder – nach der neu geschaffenen Nr. 5 – eine „sonstige Person, die für die Leitung des …Unternehmens…verantwortlich handelt, wozu auch die Überwachung der Geschäftsführung oder die sonstige Ausübung von Kontrollbefugnissen in leitender Stellung gehört“. Der Personenkreis des § 75 StGB hat eine zentrale und verantwortliche Stellung in dem betreffenden Unternehmen inne. Deshalb rechnet der Gesetzgeber deren Handlungen im Rahmen der Einziehung den Vertretenen selbst zu.
Dann erscheint spiegelbildlich hierzu gerechtfertigt, durch diesen Personenkreis des § 75 StGB auch das Schweigerecht der durch sie vertretenen juristischen Person ausüben zu lassen.[137]

4.4 Entscheidungsfindung innerhalb der juristischen Person

Die Frage, auf welche Weise bei der internen Willensbildung über die Geltendmachung des Schweigerechtes zu entscheiden ist, kann nur strikt nach den gesellschaftsrechtlichen und satzungsgemäßen Vertretungs- und Geschäftsführungsregelungen beantwortet werden: Dem einzelnen vertretungsberechtigten Organ können nicht umfassendere Rechte zukommen, als ihm durch Gesellschaftsvertrag oder Gesetz eingeräumt sind. Das folgt daraus, dass über das Schweigerecht der juristischen Person (ggf. eben nur mit-) zu entscheiden ist, und nicht über persönlich zustehende Rechte. Beschließt der Vorstand einer AG deshalb mit Mehrheit und gesellschaftsrechtlich wirksam, dass vom Schweigerecht Gebrauch gemacht werden soll, so hat sich jedes einzelne Vorstandsmitglied unabhängig von seiner eigenen Meinung und seinem Votum daran zu halten. Insoweit gelten keine Besonderheiten für Umfang und Grenzen der Umsetzung gesellschaftsrechtlicher Beschlüsse durch Organe und nachgeordnete Mitarbeiter.
Liegt noch keine Entscheidung über die Geltendmachung des Schweigerechtes vor, so muss einem zur Auskunft aufgeforderten Mitglied des betreffenden Personenkreises ein vorläufiges Schweigerecht bis zur Herbeiführung der satzungsgemäßen Entscheidung zustehen. Nur so kann dem Schweigerecht der juristischen Person auch bei überraschenden Ermittlungshandlungen die gebotene Geltung verschafft werden.
Verlangt die Strafverfolgungsbehörde deshalb etwa anlässlich einer Firmendurchsuchung die sofortige Zeugenaussage der Firmenleitung, kann diese sich auf ein Schweigerecht berufen, wenn das Unternehmen als Nebenbeteiligte im weiteren Verlauf des Verfahrens in Betracht kommt.

5. Ergebnis

Die juristische Person als Nebenbeteiligte im Strafverfahren kann sich gemäß den §§ 431 Abs. 3, 433 Abs. 1 S. 1, 432 Abs. 2, 442 StPO auf ein Schweigerecht berufen, sofern die Erhebung von Einwendungen gegen eine zu ihren Lasten mögliche Verfalls- oder Einziehungsanordnung beabsichtigt ist. Auf ihre fehlende Strafrechtsfähigkeit kommt es nicht an,[138] sondern auf Nebenbeteiligungsfähigkeit. Dieses Schweigerecht wird ausgeübt durch ihre Leitungsebene, den in § 75 StGB genannten Personenkreis.


[1] Manuskript abgeschlossen im September 2002.[2] Vgl. § 59 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1, 2 GWB sowie die Vorgängerregelung in § 46 Abs. 1, 5 GWB 1990.[3] BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26.2.1975 – 2 BvR 820/74 -, abgedruckt in DB 1975, S. 1936.[4] §§ 430 ff. StPO; §§ 73 ff. StGB.[5] Vgl. die §§ 431 Abs. 3, 432 Abs. 2, 434 Abs. 1, 442 Abs. 1 StPO, § 75 StGB.[6] Lackner/Kühl – Kühl, § 14 Rz. 1a; Bottke wistra 1997, 241, 246 f..[7] Vgl. §§ 35 GewO, 16 Abs. 3 HandwO; 20, 25 BImSchG, § 62 GmbHG, § 196 AktG, § 33 Abs. 1 Nr. 2 KWG; weitere Beispiele bei Scholz, Strafbarkeit juristischer Personen? ZRP 2000, 435.[8] BGH NJW 2000, 297; Tröndle/Fischer, § 73 Rz. 13 m.w.N.[9] BGH NJW 1991, 371; OLG Düsseldorf NJW 1979, 992; Tröndle/Fischer, § 73 Rz. 13.[10] Schönke-Schröder – Eser, § 73 Rz. 36 m.w.N.[11] OLG Düsseldorf, 29.06.1999, 5 Ss 52/99-36/99, NuR 1999, 656[12] Vgl. BGH StV 95, 635; BGH NStZ 1995, 495; Tröndle/Fischer, § 73c Rz. 2 m.w.N.[13] OLG Hamm NJW 1973, 719: Spende des Vorteils an eine gemeinnützige Organisation.[14] Tröndle/Fischer, § 73c Rz. 2; Schönke-Schröder – Eser, § 73c Rz. 2; zur Anwendbarkeit im Umweltstrafrecht: Franzheim wistra 1989, 87, 89 f.[15] BGH 2 StR 43/00, Urteil vom 12.07.2000, wistra 2000, 379.[16] Sog. Drittverfallsklausel, vgl. Schönke-Schröder – Eser, § 73 Rz. 39, 43.[17] §§ 134, 138 Abs. 1 BGB.[18] BGHSt 33, 37; Schönke-Schröder – Eser, § 73 Rz. 40; LK – Schäfer, § 73 Rz. 53.[19] Abzugrenzen hiervon ist der sog. „unbemakelte“ Vorteilserwerb; vgl. ausführlich hierzu BGH NStZ 2000,34.[20] Vgl. die Darstellung bei Schönke-Schröder – Eser, a.a.O. Rz. 14 m.w.N., der zu recht auf die unklaren Abgrenzungskriterien und die verfassungsrechtlichen Bedenken hinweist.[21] Auch hier ergeben sich verfassungsrechtliche Bedenken, Art. 14 GG; vgl. Tröndle/Fischer, § 73d Rz. 7; Schönke-Schröder – Eser, § 73d Rz. 15, 2 m.w.N..[22] § 73 Abs. 1 S. 2 StGB.[23] BGH wistra 2001, 143; Tröndle/Fischer, § 73 Rz. 4 m.w.N.[24] Schönke-Schröder – Eser, § 73 Rz. 26 m.w.N.. Weshalb der BGH im Urteil v. 19.10.1999 – 5 StR 336/99, abgedruckt in NJW 2000, 297 diese Vorschrift als „Totengräber des Verfalls“ bezeichnet hat.[25] Vgl. § 111 b Abs. 5, § 111 e Abs. 3, 4 StPO.[26] § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB; sog. „Sicherungseinziehung“, nach § 74 Abs. 3 StPO kann der Täter in diesen Fällen auch ohne Schuld gehandelt haben.[27] § 74f Abs. 2 Nr. 1 StGB.[28] BGH NJW 1994, 1357; BGH, Urteil v. 19.10.1999 – 5 StR 336/99, abgedruckt in NJW 2000, 297.[29] Tröndle/Fischer, § 73 Rz. 3a; Schönke-Schröder – Eser, § 73 Rz. 17, 17a jeweils m.w.N.; BT-Drucks. 12/989 S. 23; BGH NStZ 1994, 124; Göhler wistra 1992, 133.[30] Dieser Grundsatz gilt in gleicher Weise bei der Verfallsanordnung im OWiG-Verfahren nach § 29a OWiG, vgl. nur BayObLG in NStZ-RR 1997, 339, oder bei der Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG.[31] Vgl. die §§ 74 e Abs2, 74 f Abs. 2 StGB.[32] Nach der Begründung der ursprünglichen Vorschrift des § 109 StGB (E 1962, BR -Drucks. 200/62, S. 242) wurde der Verfall zunächst ebenfalls als strafähnliche Maßnahme zu Lasten des Dritten verstanden, während später eine bereicherungsrechtliche Betrachtung vorherrschte, vgl. BGH, Urteil v. 19.10.1999 – 5 StR 336/99, abgedruckt in NJW 2000, 297.[33] Schönke-Schröder – Eser, § 73 Rz. 34 ff. m. w. N.; Eser, Die strafrechtlichen Sanktionen gegen das Eigentum, 1969, S. 287 ff.; NK – Herzog, § 73 Rz. 25.[34] Vgl. nur BayObLG in NStZ 1994, 442; LG Düsseldorf in wistra 1999, 477. Geldbußen nach der Verfallsvorschrift des § 29 a OWiG haben im Ordnungswidrigkeitenverfahren längst auch außerhalb von Kartellverstößen zweistellige Millionenhöhe erreicht, vgl. etwa OLG Celle in NStZ 1997, 554 (20 Mio. DM zu Lasten eines privaten Rundfunkveranstalters) oder die 37 Mio. einer deutschen Großbank zur Erledigung ihrer „Luxemburg-Fälle“, vgl. Flore/Labunski in Praxis Steuerstrafrecht 1999, 120.[35] OLG Frankfurt in NStZ-RR 2000, 45.[36] BGH 1 StR 386/96, Beschluss vom 18.07.1996, NStZ 1996, 30.[37] Vgl. etwa BGH 1 StR 210/99, Urteil vom 08.06.1999; BGH 2 StR 43/00, Urteil vom 12.07.2000, wistra 2000, 379; OLG Stuttgart in wistra 1990, 165.[38] BbgVerfG in NJW 1997, 451.[39] BGH 2 StR 691/94, NJW 1995, 2235.[40] Kracht, wistra 2000, 326; Kaiser wistra 2000, 121; Hetzer, wistra 2000, 368 (373: „praktische Bedeutsamkeit äußerst gering“) fordert zur Beseitigung der seiner Meinung nach „bestehenden Defizite“ tatsächlich eine Beweislastumkehr bei Anwendung der §§ 73 ff StGB; a.a.O. 374 li. Sp..[41] Wabnitz/Janovsky – Knierim, Handbuch des Wirtschaftsstrafrechts, 2001, Kap. 3 Rz. 39 ff.[42] Quelle: Lagebilder Finanzermittlungen des LKA NRW 1993 bis 1999: Die Anzahl der Verfahren stieg seit 1996 kontinuierlich: 1996: 387, 1997: 781; 1998: 1.052 und 1999: 1.334.[43] Nach der Statistik des LKA NRW ist eine entsprechende Steigerung der verhängten Maßnahmen (Verfall und Vermögensstrafe §§ 73 ff. und § 43a StGB) zu verzeichnen: in 1996: 643; in 1997: 902; 1998: in 1.299 und in 1999: 2.005 Maßnahmen insgesamt; ebenso signifikant sind die so erzielten Ergebnisse (Zahlen gerundet): 1996: 59,8 Mio. DM; 1997: 24,4 Mio. DM; 1998: 62,7 Mio. DM und 1999: 139,5 Mio. DM.[44] Wabnitz/Janowsky – Wamers/Brandl, Kap. 9 Rz. 237, dort insbes. zur Errichtung der „Gemeinsamen Finanzermittlungsgruppe Bundeskriminalamt (BKA) und Zollkriminalamt (ZKA)“ durch diese beiden Behörden; SK-StPO – Wolter, vor § 151 Rz. 64.[45] Ziff. 2 der sog. „Finanzermittlungsrichtlinien“-FERL, Gemeinsamer Runderlass des Innenministeriums, des Finanzministeriums und des Justizministeriums vom 21.06.2000, abgedr. u.a. in Justizministerialblatt NRW 2000, 209 ff.[46] Nach Kilching u.a. (Homepage des Max – Planck – Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht – Freiburg, https://www.iuscrim.mpg.de/forsch/krim/kilching1.html), wurden ausweislich des sog. Lagebildes OK des BKA im Jahr 1992 insgesamt 5 Mio. DM Vermögenswerte im Ermittlungsverfahren vorläufig beschlagnahmt, 1994 schon 17,5 Mio. DM, in 1996 dann 36, 8 Mio. DM und in 1998 nicht weniger als 95 Mio. DM.[47] Achenbach (NStZ 2001, 401) sieht sogar die Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörden, für vermeintlich Geschädigte Rückgewinnungshilfe gemäß § 111 b Abs. 5 StPO zu gewähren.[48] Hinzu kommt oftmals noch eine – manchmal existenzbedrohende – faktische Betroffenheit etwa infolge Durchsuchungsmaßnahmen, vorläufiger Festnahme von Mitarbeitern, quasi halböffentlich geführten Ermittlungen durch Herausgabe von Pressmitteilungen. Die „Verfahrensstrafe“ trifft bei Untersuchungen in Wirtschaftssachen nicht nur den Beschuldigten und seine Familie, sondern auch die Unternehmen.[49] Für den BGH folgt im Urteil v. 19.10.1999 – 5 StR 336/99 -, abgedruckt in NJW 2000, 297 eine einschränkende Auslegung der Drittverfallsvorschrift des § 73 Abs. 3 StGB mit dem ausdrücklich genannten „verfahrensrechtlichen und verfahrensökonomischen Argument“, dass „ansonsten zahlreiche Dritte ermittelt und als Verfallsbeteiligte nach § 442 i. V. m. § 430 ff. StPO am Verfahren beteiligt werden müssten“.[50] OLG Düsseldorf NStZ 1988, 289.[51] Zur nicht ganz einheitlichen Terminologie vgl. Karlsruher Kommentar – Boujong, § 431 Rz. 2; Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 431 Rz. 5; § 434 Rz. 1; Löwe-Rosenberg – Gössel, § 432 Rz. 1[52] Insbesondere § 163a StPO, vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 432 Rz. 3; Karlsruher Kommentar – Boujong, § 432 Rz. 6.[53] Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 432 Rz. 3; Karlsruher Kommentar – Boujong, § 432 Rz.6; wobei schon aus dem Gesetzeswortlaut „glaubhaft erscheinen“ folgt, dass an diese Voraussetzung keine hohen Anforderungen gestellt werden dürfen.[54] Löwe-Rosenberg – Gössel, § 432 Rz. 14 m.w.N.; HK – Kurth, § 432 Rz. 5, 6.[55] BVerfGE 56, 37, 41 f.; BVerfG NJW 1997, 1841, 1843. „Nemo-tenetur-Grundsatz“ („nemo tenetur se ipsum accusare“), vgl. BGH, Beschl. v. 26.04.2001 5 StR 587/00; BGH wistra 1993, 66, 68; BVerfG StV 1995, 505; BGHSt 42, 139, 152 = NJW 1996, 2940, 2942; BGH NJW 1992, 2304 f. [56] Vgl. dagegen die Kodifikationen in Art. 52 der Verfassung des Landes Brandenburg (GVBl. I 92, S. 298) sowie auch Art 14 Abs. 3 Buchstabe g) des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (BGBl. 1973 II S. 1534). [57] In den letzten Jahren hat der BGH den Stellenwert des Schweigerechtes weiter betont. So ist beispielsweise eine Beschuldigtenvernehmung unverwertbar, wenn auf das Schweigerecht nicht ausdrücklich hingewiesen wurde; grundlegend und in Abkehr zur bisherigen Auffassung in der Rechtsprechung: BGH 5 StR 190/91, abgedruckt in BGHSt 38, 214 = JR 1992, 385 m. Anm. Fezer = JZ 1992, S. 923 m. Anm. Roxin = NStZ 1992, 504 m. Anm. Bohlander. [58] Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 136, Rz. 7 m.w.N.[59] BVerfG, Beschluss vom 26.02.1997 – 1 BvR 2172/96, abgedruckt in NJW 1997, S. 1148 m.w.N.[60] BVerfG a.a.O.[61] Vgl. beispielsweise Weiß, Die Verteidigungsrechte im EG-Kartellverfahren, Köln 1996 S. 376 m.w.N.; Dannecker in ZStW 1999, 257 (286) m.w.N..[62] Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 136, Rz. 7 m.w.N.[63] Karlsruher Kommentar – Boujong, § 136 Rz. 10; Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, Berlin 1977, S. 104 ff.; Stürner NJW 1981, 1757; Verfasser in AnwBl. 2001, 584.[64] Ebenso Gatzweiler StraFo 2001, 189 ff., der nicht zu Unrecht von einem gewissen „Jagdeifer“ der Strafverfolger spricht.[65] Anschaulich Hamm, in: Der Bürger im Ermittlungsverfahren, S. 61, Schriftenreihe des DAV 1987: „Ich bin sogar bereit, ein Stück Verantwortung für die Verlängerung der Untersuchungshaft zu übernehmen, indem ich dem Mandanten verbiete, zur Sache auszusagen, bevor ich den Inhalt der Akte kenne.“[66] §§ 73 Abs. 4, 74 a StGB.[67] Gem. den §§ 442, 434, 147 StPO, nicht etwa nur eingeschränkt nach § 475 StPO.[68] Göhler wistra 1992, 133 ff.; Schönke-Schröder – Eser, § 73 Rz. 34, 35; Lackner/Kühl § 73 Rz. 3; Tröndle/Fischer, § 73 Rz. 13; Karlsruher Kommentar – Boujong, § 431 Rz. 25.[69] Tröndle/Fischer § 73 Rz. 13 m. w. Beispielen und Nachweisen.[70] Schließlich könnte ihm mangels gesetzlicher Regelung kein „Recht zur Lüge“ zum Schutz seiner Vermögensposition zugebilligt werden, wie für den Zeugen (außerhalb der durch die §§ 153 ff. StGB geschützten Vernehmungen) in § 258 Abs. 5 StGB vorgesehen ist.[71] Wobei die StPO das Schweigerecht der natürlichen Person zwingend voraussetzt, aber nicht kodifiziert.[72] Wie schon im wesentlichen gleichlautend die Vorgängervorschrift in § 46 GWB 1990.[73] Gegen eine Anwendung des Auskunftsverweigerungsrechtes nach § 59 Abs. 5 auf die jP sprechen sich aus: Baron in Langen/Bunte, Deutsches und Europäisches Kartellrecht, 2001, § 59 Rz. 19; Ebel/Mayer Wegelin, Kartellrecht, 2001, § 59 GWB Rz. 24; Rasch/Westrick/Löwenheim, GWB, 1996, § 46 Rz. 14; widersprüchlich Immenga/Mestmäcker, GWB, 2001, § 59 Rz. 38 einerseits und Rz. 39 a.E. andererseits; offengelassen in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 1999, § 52 Rz. 25; dafür plädieren: Quack in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, 1987 § 46 Rz. 59; Weiß, Die Verteidigungsrechte im EG-Kartellverfahren, 1996, 378; eingehend und bejahend Wieckmann, Das Auskunftsersuchen im System kartellbehördlicher Eingriffsbefugnisse, 1977, 46 ff.. Gillmeister, Ermittlungsrechte im deutschen und europäischen Kartellordnungswidrigkeitenverfahren 1985, billigt der jP bei der Anforderung von Auskünften im Bußgeldverfahren ein Auskunftsverweigerungsrecht zu und geht für das Kartellverwaltungsverfahren von einer Auskunftspflicht aus, allerdings bei Zuerkennung eines Verwertungsverbotes für das nachfolgende Bußgeldverfahren, S. 40, 161.
BVerfG, Beschluss vom 26.02.1975 – 2 BvR 820/74, abgedruckt (im Volltext) in DB 1975, 1936.[75] Dem Beschluss als bloßer Nichtannahmeentscheidung kommt auch keine Verbindlichkeit nach § 31 Abs. 1 oder gar nach Abs. 2 BVerfGG zu; vgl. hierzu auch Rixen in NJW 1999, S. 3389 (3391).[76] Selbst das BVerfG zitiert seinen früheren Beschluß in der nachfolgend (siehe nächste FN) näher dargestellten Entscheidung nicht; wohl aber bejahen Göhler, OWiG, 13. Auflage 2002, § 55 RZ 8 und KK-OwiG-Wache, 2. Auflage 2001, § 55 Rz. 13 ebenso begründungslos und unter alleiniger Berufung auf den Nichtannahmebeschluss des BVerfG aus 1975 das Aussageverweigerungsrecht der juristischen Person im OWiG-Verfahren; vgl. auch Gillmeister a.a.O..[77] BVerfGE 95, 220, 241f. = NJW 1997, 1841 ff.; dazu kritisch Weiß NJW 1999, 2236 unter Hinweis auf die entgegenstehenden Garantien der EMRK.[78] Gemäß § 38 Abs. 1 Nr. 2 BadWürttLMedienG[79] BVerfG a.a.O.[80] So bereits BVerfGE 56, 37 ff., 42, 49 = NJW 1981, 1431.[81] BVerfG a.a.O. NJW 1997, 1841. Damit setzt sich die Entscheidung nicht nur in Gegensatz zum zitierten Beschluss vom 26.02.1975 – 2 BvR 820/74; DB 1975, 1936, sondern verkennt grundlegend, dass § 30 OWiG nicht auf eine bloße Entziehung des Vermögensvorteils ausgerichtet ist, wie sich zwingend aus der Regelung in § 17 Abs. 4 OWiG ergibt („Die Geldbuße soll den wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat, übersteigen“), die nach § 30 Abs. 3 OWiG ausdrücklich auch für die jP gilt.[82] Hierzu eingehend BFH, Urteil vom 11.08.1999 XI R 77/99, BStBl. 1999 II, S. 771 zur Bindungswirkung des sog. „Halbteilungsbeschlusses“ des BVerfG, BVerfGE 93,121.[83] Ebenso BFH a.a.O. m.w.N.; BVerfG 1 BvR 677/84, abgedruckt in NJW 1986, S. 2305.[84] Urteil des EuGH vom 18.10.1989, („Orkem“) Rechtssache 374/87, Slg 1989, 3343.[85] EuGH a.a.O., Rz. 29.[86] EuGH a.a.O. Rz. 30.[87] Damit konnte natürlich nur die bis zum Zeitpunkt der EuGH-Entscheidung am 18.10.1989 ergangene Rechtsprechung des EGMR gemeint sein.[88] EuGH a.a.O., Rz. 35.[89] EuGH a.a.O., Rz. 38 letzter Satz; nach den von der Kommission später im Jahr 1997 selbst herausgegebenen Leitlinien (Europäische Kommission, Kontakte mit der Kommission, Anmeldungen, Beschwerden, Nachprüfungen und Ermittlungsbefugnisse im Rahmen des Artikel 85 und 86 des EG-Vertrages, Brüssel-Luxemburg 1997) wird die Orkem-Entscheidung weiterhin als zutreffend behandelt. So beschränke sich das Fragerecht und damit die Auskunftspflicht des Unternehmens auf Sachverhaltsfragen. Die Stellung von Suggestivfragen, die letztlich dazu führen würden, dass das betreffende Unternehmen einen Verstoß zugeben würde, sei ausgeschlossen (S. 28).[90] Hoechst AG versus Kommission, Rechtssachen 46/87 und 227/88, Slg. 1989, 2860.[91] EuGH a.a.O. sowie S. 2929.[92] Urteil des EuGH vom 18.10.1989 (Orkem), Rechtssache 374/87, Slg 1989, 3343 Rz. 30.[93] Urteil vom 14.5.1998, T-347/94 (Mayr-Melnhof); Urteil vom 20.04.1999, verbundene Rechtssachen T-305/94 u.a. (Limburgse Vinyl); Urteil vom 20.2.2001, T-112/98 (Mannesmannröhrenwerke), nicht rechtskräftig, Rechtsmittel als Rechtssache C-190/01 beim EuGH anhängig; die Entscheidungen sind alle über www.curia.eu.int/jurisp im Volltext (teilweise mit zusätzlichen Verfahrensdokumenten) zu beziehen.[94] Limburgse-Entscheidung, Rz.449 (vgl. vorangegangene Fußnote), unter Hinweis auf das Orkem-Urteil des EugH.[95] Mannesmannröhrenwerke-Entscheidung a.a.O., Rz. 60 m.w.N; ebenfalls Mayr-Melnhof-Entscheidung, Rz. 312.[96] Mannesmannröhrenwerke-Entscheidung, Rz. 65 ff. Zur – berechtigten – Kritik an den vom EuG rein auf die Praktikabilität des Untersuchungsverfahrens abstellenden Einschränkungen des Schweigerechtes ohne dogmatische Begründung vgl. Schohe in NJW 2002, 492; zur Kritik an den höchst unklaren Abgrenzungen zwischen auskunfts- und nicht auskunftspflichtigen Tatsachen in den Entscheidungen vgl. ferner Boner, Jurletter vom 13.08.2001, www.weblaw.ch, Das Auskunftsverweigerungsrecht im EU-Wettbewerbsverfahren. Ebenso, kritisch und eingehend zu den vom EuGH vertretenen Einschränkungen des Auskunftsverweigerungsrechtes Weiß, Die Verteidigungsrechte im EG-Kartellverfahren, 1996, 354ff. m.w.N..[97] Mannesmannröhrenwerke-Entscheidung, Rz. 71; Limburgse Vinyl-Entscheidung, Rz. 449.[98] Vgl. Europäische Kommission: Kontakte mit der Kommission, Anmeldungen, Beschwerden, Nachprüfungen und Ermittlungsbefugnisse im Rahmen des Artikel 85 und 86 des EG-Vertrages, Brüssel-Luxemburg 1997, Seiten 21, 28, 29, 48-52.[99] Funke versus France, Judgment of 23.02.1993, Publications of the European Court of Human Rights, Series A – Funke, Vol. 256 und Bendenoun versus France, Judgment of 24.02.1994, Publications of the European Court of Human Rights, Series A – Bendenoun, Vol. 284.[100] Umfassende Darstellung der Sachverhalte sowie der jeweiligen Auffassung sowohl der Menschenrechtskommission als auch des EGMR bei Frommel/Füger, StuW 1995, 58.[101] Bendenoun versus France a.a.O. Rz. 13: „…the surcharges were very substantial, amounting to FRF 422.534 in respect of Mr Bendenoun personally and FRF 570.398 in respect of his company…“.[102] Funke versus France a.a.O. Rz. 44: „…the autonomous meaning of this expression in Article 6, to remain silent and not to contribute to incriminating himself“.[104] EGMR, Urteil vom 3.5.2001 – 31827/96 (J.B./Schweiz), abgedruckt in NJW 2002, 499.
EGMR a.a.O, 501. Der EGMR hat gleichzeitig nochmals klargestellt, dass der Begriff der “ strafrechtlichen Anklage “ in Art. 6 Abs. 1 EMRK autonom ausgelegt werden müsse und nicht etwa den nationalen Begriffen folge. Auch ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung, in dem Nachsteuer festgesetzt und eine Geldbuße auferlegt werden könne, sei grundsätzlich und von Beginn an unter dem Gesichtspunkt von Art. 6 EMRK zu prüfen; hierzu auch Weigend in StV 2000, 384 (387) m.w.N.; ferner Frommel/Füger a.a.O. S. 61.[105] Dannecker (ZStW 1999, 284) weist zu recht darauf hin, dass der vom EuGH in der Orkem-Entscheidung vertretenen Auffassung eines nur eingeschränkt bestehendem Auskunftsverweigerungsrecht nach der Funke-Entscheidung des EGMR die Begründung entzogen ist. Ebenso für eine erweiterte Anerkennung des Schweigerechts für Unternehmen durch den EuGH spricht sich auch Pache (EuGRZ 2000, 601) aus.[106] Ebenso Frommel a.a.O., S. 68 li. Sp. oben. Jetzt auch insbesondere EGMR, Urteil vom 3.5.2001 – 31827/96 (J.B./Schweiz), abgedruckt in NJW 2002, 499.[107] EuGH, Urteil vom 18.10.1989, („Orkem“) Rechtssache 374/87, Slg 1989, 3343; EGMR, Urteil vom 27.10.1993 („Dombo“) NJW 1995, 1413;[108] BVerfGE 74, 358, 370.[109] Allgemeine Meinung, vgl. nur die umfassenden Nachweise bei Weigend StV 2000, 384, 385 f.; BVerfG a.a.O.; ebenso jetzt BGH 5 StR 2/00 vom 2.8.2000, abgedruckt in wistra 2000, 466, 469, Gebot der „konventionskonformen Auslegung der StPO“; Vgl. auch § 359 Nr. 6 StPO n. F. durch Gesetz vom 8. 7. 1998 (BGBl. I S .1802; Urteil des EGMR als Wiederaufnahmegrund); hierzu Weigend a.a.O., 388.[110] Gesetz betreffend die Anrufung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens auf dem Gebiet der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen nach Art. 35 des EU-Vertrages (EuGH-Gesetz) vom 6.8.1998 (BGBl I, 2035), 99 in Kraft getreten am 01.05.1999 (BGBl I, 728).[111] Ebenso OLG Köln StraFo 2001, 237 zu Art 54 SDÜ.[112] BVerfG, Beschluss vom 9. Januar 2001 – 1 BvR 1036/99, www.bverfg.de.[113] Ebenso BVerfG, 2 BvL 1/97 vom 7.6.2000, www.bverfg.de.[114] Weiß NJW 1999, 2236, 2237 m. w. N..[115] So auch Frowein/Peukert, Art. 10 Rz. 5.[116] BVerfG a.a.O. BVerfGE 95, 220, 241f. = NJW 1997, 1841 ff..[117] BVerfG, Beschluss vom 26.02.1975 – 2 BvR 820/74, DB 1975, 1936.[118] BVerfG a.a.O. NJW 1997, 1841 ff..[119] BVerfG, Beschluss vom 13.01.1981 – 1 BvR 116/77, abgedruckt in NJW 1981, 1431.[120] Zum Begriff und der notwendigen Abgrenzung vgl. LdWR – Schumann, S 1200 S. 1 ff.[121] BVerfG a.a.O., S. 1432; vgl. jetzt auch § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO.[122] Der nach BGH 1 StR 260/53, abgedruckt in NJW 1954, 1412 auch Beleidigungsfähigkeit zukommt, wie seither Rechtsprechung und Literatur anerkennen, vgl. nur Schönke-Schröder – Lenckner, Vorbem. 3 a vor §§ 185 ff..[123] Vgl. auch Krack, NJW 2002, 120, der den Anwendungsbereich der Menschenwürdegarantie mit eingehender Begründung insgesamt eng auffasst und deshalb beispielsweise den Schutz der Menschenwürde auch nicht als Hauptzweck des § 136 a StPO ansieht (a.a.O., S. 121).[124] Ebenso Dannecker ZStW 1999, 257 (286) m.w.N.; Weiß, Die Verteidigungsrechte im EG-Kartellverfahren, 1996, 354ff. m.w.N..[125] Bei Verurteilung zu nicht mehr als 90 Tagessätzen unterbleibt bei fehlender Voreintragung im Regelfall eine Aufnahme in ein Führungszeugnis, § 32 II BZG; vgl. auch Kalf StV 1991, 132.[126] Vgl. beispielsweise § 6 Abs. 2 S. 3 GmbHG: Verbot der Bestellung zum GmbH-Geschäftsführer für 5 Jahre bei Verurteilung wegen § 283 – 283 d StGB.[127] §§ 149 Abs. 2 Nr. 3, 151 GewO.[128] Aktuell jetzt auch der eingebrachte Entwurf des Tariftreuegesetzes (BT-Drs. 14/7796), das durch § 126 a GWB-E ein „Register über unzuverlässige Unternehmen“ einführen wird.[129] Seit der Neufassung im Jahr 1993 ist beispielsweise die Vorschrift des § 153a StPO schon dann anwendbar, wenn „die Schwere der Schuld nicht entgegensteht“, während nach früherer Rechtslage die Vorschrift nur „bei geringer Schuld“ anzuwenden sein sollte, vgl. Art. 2 des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11.01.1993, BGBl. I S. 50.[130] Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 385 Rz. 12 m.w.N..[131] Anschaulich Wabnitz/Janovsky – Kummer, Kap. 10 Rz. 134: „…hat den Nachteil, dass die Vorsteher solcher Finanzämter (scil.: der Veranlagungsfinanzämter als Vorgesetzte der Buß- und Strafsachenstellen und der Steuerfahndung in einigen Bundesländern) der Verfolgung von Steuerkriminalität zumeist weit weniger Bedeutung beimessen als dem reibungslosen Ablauf der Steuerfestsetzung“; ebenso Verfasser in Steuerberatung 2001, 324.[132] Und gerät dabei in Verdacht der Annahme von Korruptionsgeldern, was ihm Untersuchungshaft einbringt, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 15.06.2002.[133] Im Ergebnis auch Weiß NJW 1999, 2236, (2237) unter Hinweis auf die EMRK; Schohe in NJW 2002, 492; ebenso für das Europäische Kartellverfahren auch Eichler/Peukert in AnwBl. 2002, 190 (195).[134] Zu Verbesserungsmöglichkeiten de lege ferenda vgl. 62. DJT 1998, Abt. Strafrecht, V Zeugnisverweigerungsrechte, Alternativantrag Nelles, www.djt.de/62djt/strafrecht.html.[135] Die Vorschrift war erst erweitert worden durch das 31. StrÄG – 2. UKG v. 27.6.1994, BGBl I, S. 1440.[136] BT-Drucksachen 14/8998 vom 13.05.2002 und 14/9258 vom 05.06.2002 sowie BR-Drucksache 553/02 vom 21.06.2002.[137] Wobei sehr abzuwarten bleibt, ob dem Gesetzgeber bei der jetzt neu geschaffenen Regelung in Nr. 5 eine für die rechtssichere Anwendung genügend klare Vorschrift gelungen ist.[138] Einige Initiativen und Literaturstimmen der letzten Jahren verlangen ohnehin zunehmend die partielle oder vollständige Einführung originärer Strafbarkeit der juristischen Person, vgl. nur Hetzer Kriminalistik 1999, 570 ff sowie in wistra 2000, 368: „Übergang vom Unternehmenstäter zum Täterunternehmen“; Scholz ZRP 2000, 435 ff. fordert die sofortige Anerkennung der Strafbarkeit von juristischen Personen und eine „rasche Ergänzung “ des StGB; Däubler-Gmelin ZRP 1999, 81, 83; vgl. ferner die „Initiative der Bundesrepublik Deutschland … über den strafrechtlichen Schutz gegen betrügerisches oder sonstiges unlauteres wettbewerbswidriges Verhalten im Zusammenhang mit der Vergabe von öffentlichen Aufträgen im europäischen Gemeinsamen Markt“, veröffentlicht am 04.09.2000 im Amtsblatt C der Europäische Europäischen Gemeinschaften, Abl. C 253 S. 3 – 5; die Große Anfrage der SPD-Fraktion vom 09.09.1998, BT-Drucks. 13/11 425; Zum Entwurf des corpus juris der EU vgl. Delmas-Marty, Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, 1998. Werden diese Forderungen bzw. Vorhaben Gesetz, wird man über Schweige- und erheblich weitergehende Verteidigungsrechte der juristischen Person ohnehin nicht mehr diskutieren können.